Kometengeschichten 5 – Kometenbahnen

Liebe Leserinnen und Leser,

Nachdem ich im letzten Artikel über die weit verbreitete Kometenangst berichtete, geht es heute darum, dass nicht alle vor Angst gelähmt in Erwartung des Bösen an den Himmel und die Kometen starrten, sondern diese mit Nüchternheit und Gelassenheit als besondere Himmelsobjekte betrachteten und verstanden.

Aus dem Jahre 1472 ist beispielsweise überliefert, dass kein geringerer Astronom als Johann Müller, eher unter dem Namen Regio Montanus bekannt, mutig und entspannt Kometen beobachtete. Dieser Müller war derjenige, dessen hervorragende Sternenkarten für die Seefahrt (ephimeriden) Kolumbus sein Leben verdankte. Ich schrieb darüber in Eine Mondfinsternis als Lebensretterin.

Jener vermaß gemeinsam mit einem seiner Studenten die Bahn eines Kometen. Sie versuchten seine Bahn Stück für Stück zu konstruieren. Es ist schon eigenartig, dass vorher niemand derartiges versuchte. Selbst aus alten asiatischen oder arabischen Quellen ist mir zumindest nichts bekannt.

Die erste Gemeinsamkeit

Gleich sechs Kometen erschienen zwischen 1531 und 1539. Sie wurden von mehreren Astronomen vorurteilsfrei beobachtet, z. B. von dem italienischen Astronomen Girolamo Fracastoro. Jener veröffentlichte 1538 ein Buch in welchem er festhielt, dass Kometenschweife stets von der Sonne weg zeigen. Sein deutscher Kollege, Peter Apian, verfolgte diese Kometen ebenfalls, wusste allerdings nichts von Fracastoros Arbeit. Auch er erwähnte diese Eigenart der Kometenschweife in seinem Buch 1540. Er ergänzte seine Schrift sogar noch mit einer Zeichnung,auf welcher ein Komet mit seinen Schweifen relativ zur Sonne dargestellt war. Wenn Kometen auch unberechenbar erscheinen und verschwinden konnten, so schien es doch zumindest so zu sein, dass alle der Regel gehorchen mussten, dass die Schweife stets von der Sonne weg zeigten. Immerhin. Dann waren Kometen vielleicht doch auch gewissen anderen Regeln unterworfen, die man nur bisher noch nicht sah…
Heute weiß man, dass die Schweife aller Kometen stets vom Sonnenwind weg von ihr geblasen werden.

Der alte Glaube

Der gute alte Aristoteles vertrat die Ansicht, dass alle Himmelskörper die Erde auf festen ihnen eindeutig zugewiesenen Bahnen umrundeten. Weil Kometen kamen und gingen, rechnete er sie nicht zu den Himmelskörpern, sondern hielt sie für langsam brennende Feuer in den oberen Luftschichten. Wenn Kometen atmosphärischer Natur waren, mussten sie näher als die anderen Himmelskörper bei der Erde sein. Somit sollten sie sogar näher sein als der Mond. Das war nämlich schon den alten Griechen klar, dass er der nächste Himmelskörper ist. Wie auch immer. Die Autorität Aristoteles war so groß, dass seine Lehren über 2000 Jahre gültig blieben.

Erschütterungen

Dieser Glaube und Grundfeste wurde im Jahre 1577 erschüttert. In diesem Jahr tauchten gleich zwei Kometen auf, von deren zweiten der dänische Astronom Tycho Brahe von seiner dänischen Insel aus, wo er sich ein riesiges Observatorium baute, beobachtete. Tycho hatte die Idee, die Entfernung dieses Kometen zu vermessen. Dann sollte man erfahren, ob sie wirklich atmosphärisch nahe objekte darstellen, oder nicht. Hierfür bediente er sich der Paralaxen-Methode. Hier macht man sich die Tatsache zu nutze, dass Winkel zu beobachteten Objekten aus der Sicht unterschiedlicher Positionen verschieden sein sollten. Hält man sich einen Daumen vor die Nase, so erscheint er vor dem Hintergrund nach links oder rechts verschoben, wenn man ihn abwechselnd mit nur einem unverdeckten Auge betrachtet. Akustisch geht das z. B. mittels eines Küchenradios vor welches man sich eher mal links oder rechts positioniert auch. Somit können auch diejenigen Leser*innen, die nicht sehen können, diese verschiedenen Betrachtungswinkel auch akustisch erleben.

Die Verschiebung der Winkel wird immer kleiner, desto entfernter die betrachteten Objekte sind. Das ist der Grund, weshalb man nicht einfach unter einem Stern hindurch spazieren kann, wie unter einer Straßenlaterne. Somit ist die Parallaxe ein Maß für die Entfernung. Kennt man die Distanz zweier Beobachtungsorte, so lässt sich der Abstand berechnen. So bestimmten schon die alten Griechen die ungefähre Entfernung zum Mond.

Also vermaß Tycho die Winkel zu seinem Kometen. Diese verglich er dann mit den Daten, die ein befreundeter Astronom in Prag ermittelte. Sie unterschieden sich nicht von Tychos winkeln. Da die Entfernung beider Standorte bekannt war, konnte das nur bedeuten, dass der Komet weit entfernt sein musste, da die Winkelunterschiede deutlich kleiner waren als das, was man mit damaligen Messinstrumenten auflösen konnte.

Tychos Komet musste somit ungefähr vier mal so weit weg sein als der Mond. Wäre er kleiner gewesen, hätte er eine Parallaxe messen sollen.
Man kann an dieser Stelle gar nicht hoch genug einschätzen, was für ein exzelenter Beobachter Tycho war, denn es standen ihm keine Teleskope zur Verfügung. Kometen waren also scheinbar keine atmosphärischen Objekte, sondern kamen von weit her. Ich möchte hier noch erwähnen, dass es bei Tychos Komet sich nicht um den Halleyschen Kometen handelte, wie immer wieder mal angenommen wird und der nachher noch wichtig ist.

Ein U für ein I

Zu dieser Zeit hatte Nikolaus Kopernikus gerade sein Buch veröffentlicht, in welchem er die Sonne als Mittelpunkt des Sonnensystems postulierte, um welche sich alle Planeten drehen sollten. Johannes Kepler , Assistent von Tycho Brahe zeigte schließlich, dass die Planeten auf elliptischen Bahnen die Sonne umlaufen. Nun stellte man sich die Frage, ob vielleicht nicht auch Kometen sich auf sehr stark exzentrischen Bahnen um die Sonne bewegen könnten, so stark, dass sogar Kepler, der einen Kometen beobachtete glaubte, dass er sich auf einer geraden Bahn bewegen würde. In dem Fall käme er dann nur ein einziges mal vorbei, um dann für immer im All zu verschwinden. Als schließlich das Fernrohr erfunden war, fand ein italienischer Astronom, dass die Bahn eines Kometen, den er beobachtete durchaus in Sonnennähe wohl stark gekrümmt sei, und erst mit zunehmender Entfernung eher wie eine Gerade erschien. Die Bahn glich somit einem U, in dessen Bogen die Sonne stand. Eine solche Bahn wird Parabel genannt. Auch in dem Fall konnte ein Komet, ob U- Parabel oder I-förmige Bahn nur ein Mal vorbei kommen, bevor er dann für immer verschwand. Das war unbefriedigend. Somit zogen manche Astronomen in Betracht, es könnte sich bei den Kometenbahnen um sehr lang gestreckte elliptische Bahnen handeln,so dass sich die Kometen für viele Jahre nicht mehr beobachten ließen, weil sie zu weit weg waren, um dann irgendwann wieder zurück zu kehren. Otto von Guericke äußerte diese Vermutung. So faszinierend diese Vorstellung auch war, so fehlten damals die mathematischen Möglichkeiten, solch eine Bahn zu berechnen. Erst wenn dies berechenbar wurde, konnte man Kometen als Objekte des Sonnensystems komplett akzeptieren. Ein Jahr nach Guerickes Tot, 1687 veröffentlichte Isaac Newton seine universalen Schwerkraftgesetze. Damit hatten Astronomen erstmals ein Werkzeug zur Hand, womit sich derlei Bahnen berechnen ließen. Dieses Schwerkraftgesetz ließ es durchaus zu, dass sich ein Komet auf einer sehr gestreckten Ellipse um die Sonne bewegen konnte. Mittels Entfernung und Bahngeschwindigkeit eines Kometen um die Sonne, sollte sich die Bahn Stück für Stück berechnen lassen. Der Astronom Halley, ein guter Freund Newtons und später Namensgeber eines periodischen Kometen, versuchte solch eine Berechnung. Das kostete ihn Jahre. Er sammelte alle Kometenpositionen, die er auch aus älteren Daten finden konnte und setzte Kometenbahnen zusammen. Hierfür untersuchte er zweidutzend Kometen, in der Hoffnung, Regelmäßigkeiten ihrer Wiederkehr zu finden. Dabei stieß er u. A. auf den Kometen, den Johannes Kepler 1607 verfolgt hatte, und der durch die gleiche Himmelsgegend gezogen war, wie der Komet von 1682. Auch ein Komet des Jahres 1531 von Apian und fracastoro beobachtet, siehe oben, war durch diese Region gezogen. Ebenso jener aus dem Jahre 1456 von welchem Regio Montanus, siehe oben, berichtet hatte.

Halley fiel auf, dass hier Regelmäßigkeiten erkennbar waren. Sie erschienen stets um ungefähr 76 Jahre mit gewissen geringen Abweichungen. Das legte die Vermutung nahe, dass es sich bei allen vier Objekten um ein und dasselbe gehandelt haben könnte. Es würde sich auf einer sehr lang gestreckten elliptischen Bahn bewegen, auf der der Komet eben nur alle 75 – 76 Jahre zurück kommen konnte.
Das „entweder, oder“ bei der Rückkehr-Zeit rührt daher, dass Kometen auf ihren langen Bahnen von den großen Planeten, wie Jupiter gravitativ beeinflusst werden. Dadurch ändern sich ihre Bahnen leicht, und sie könnten sich verspäten. Außerdem erfahren Kometen leichte Bahnänderungen, wenn sie in Sonnennähe aktiv werden. Ihre ausgestoßenen Schweife und Koma funktionieren dann wie Antriebsdüsen, die leichten Einfluss auf die Bahn nehmen können, indem sie den Kometen verblasen.
Nach langem Zögern veröffentlichte Halley schließlich seine Berechnungen und sagte die Wiederkehr seines Kometen aus dem Jahre 1682 für das Jahr 1758 voraus. Diese Voraussage musste für Halley ziemlich enttäuschend gewesen sein, da er ihre Erfüllung kaum erleben konnte.
So ist das in Raumfahrt und Astronomie oft, dass Missionen etc. eine generationsübergreifende Sache sind.

Halleys Bestätigung

Lasst mich zum Schluss noch einige Sätze darauf verwenden, ob Halleys Voraussage sich bestätigte.
Die aufmerksame Leserschafft dürfte zwischen den Zeilen schon bemerkt haben, dass sie sich tatsächlich erfüllte. Ansonsten hätte man seinen Kometen vermutlich nicht den Halleyschen Kometen, also nach ihm benannt. Es bedarf schon einiger Geduld, wenn man über ein halbes Jahrhundert darauf warten muss, um zu sehen, ob Halleys Prophezeihung stimmt, oder eben nicht. Daher geriet seine Voraussage fast schon in Vergessenheit, da die Astronomen sich bis da hin längst anderen Dingen zugewendet hatten. Außerdem konnten die meisten Zeitgenossen von Halley nicht davon ausgehen, die Wiederkehr seines Kometen noch erleben zu können. Als dann das Jahr 1758 kam, verstrich einer nach dem anderen Monaten, ohne, dass sich der Komet zeigte. Er schien sich entweder zu verspäten, oder Halley hatte nicht recht gehabt. Französische Astronomen gingen zwar Halleys Berechnungen nochmal durch, um das Datum der Wiederkehr genauer zu bestimmen, aber der Komet glänzte auch zu diesem verbesserten Datum durch Abwesenheit, weshalb das Interesse der Profi-Astronomen an der Sache vermutlich auch rasch geschwunden sein dürfte. Nun ist aber gerade die Astronomie auch eine Wissenschaft für Amateure. Der Himmel gehört eben allen Menschen. Solch ein Liebhaber-Astronom, der wohlhabende Bauer Johann Georg Palitzsch aus der Gegend von Dresden wartete ab November 1758 geduldig auf Halleys Komet. Es ist wichtig, sich mit den Sternen vertraut zu machen, in welcher Gegend man den Kometen erwartet, ansonsten übersieht man ihn sicher.
Am 25.12. fand er ihn schließlich. Was für ein Weihnachtsgeschenk. Das rüttelte die Berufs-Astronomen wach und kam einer Sensation gleich.
Mich freut es immer, wenn ein Amateur mit seinen bescheidenen Mitteln derlei finden. Zeigt uns das doch auch, wie inklusiv die Astronomie tatsächlich ist.
Halleys Vorraussage stimmte, und der Komet trägt seinen Namen zurecht.
Und damit schließt sich der Kreis zu unserer zweiten Kometengeschichte, in welcher ich die Mission Giotto beschrieb, die den Halleyschen Kometen aus der Nähe betrachtete.
Das war 1986. Da war ich gerade 17 Jahre alt. Wenn alles gut läuft, komme ich nochmal in diesen Kometen-Genuss. Meine Großeltern hätten es beide geschafft, wenn er in ihrem 18. Lebensjahr erschienen wäre. Ich hoffe auf meinen guten Gen-Pool…
So, das war jetzt mal wieder etwas länger. Ich hoffe, es hat euch etwas gefallen. Wenn ja, dürft ihr das gerne teilen, liken und kommentieren.
Es grüßt euch aus dem Sommerurlaub
Euer Blindnerd.