Zum Vollmond an Halloween 2020


Liebe Leser*innen,

heute möchte ich euch einen weiteren Zyklus am Himmel vorstellen. Ich wurde auf ihn aufmerksam, als 2015 der Vollmond auf den 24.12., Heilig Abend, fiel. Ich war neugierig, wie oft sich das wiederholt und forschte nach.

Heute ist zwar kein Heilig Abend, aber der Vollmond fällt auf Halloween. Halloween, wo alle sich verkleiden und alle Geister Hochkonjunktur haben hat in so fern mit dem Mond zu tun, dass dieser durch alle Kulturen hindurch entweder von Göttern bevölkert, aber auch als Auslöser für Böses und Gruseliges steht.
Außerdem ist dieser Vollmond heute ein Bluemoon. Hat ein Monat, wie in diesem Fall der Oktober 31 Tage, und fällt der Vollmond direkt z. B. auf den 01.10., dann fällt ungefähr 29 Tage später ein zweiter Vollmond in den selben Monat. Wir haben also einen Monat mit zwei Vollmonden. Diesen zweiten Vollmond nennt man dann den blauen Mond…
Und noch etwas ist an diesem Halloween-Vollmond 2020 besonders. Wir hatten hier an anderer Stelle schon häufiger den sog. Supermond erwähnt. Das ist ein Vollmond, der dann stattfindet, wenn sich der Mond auf seiner Bahn am erdnächsten Punkt befindet. Weil der Mond uns dann um etwa 13 % größer erscheint, was mit bloßem Auge niemand sehen kann, nennt man diesen „Riesenmond“ einfach Supermond. Wir haben heute aber das Gegenteil von Supermond, „Minimond“ oder „Sub Moon“. Der Mond befindet sich heute auf seinem erdfernsten punkt auf seiner Bahn, dem Apogäum. Das soll uns aber nicht stören. Seine Wirkung auf Halloween-Geister wird er trotzdem haben..

Findet ihr nicht auch, dass ein Vollmond an Halloween, der gleichzeitig noch ein Bluemoon und ein „Minimond“ ist, ein guter Grund ist, sich mal darüber Gedanken zu machen, wie oft ein bestimmtes Datum, kann auch euer Geburtstag sein, auf einen Vollmond fällt?
Ich finde schon, und außerdem kann ich dann endlich meinen Text zum Weihnachtsvollmond 2015, als es diesen Blog noch nicht gab hervor kramen, ihn geschwind umschreiben und euch schenken.

Es wurde schon bei den alten Griechen ein Zyklus gefunden, ab welchem z. B. der Vollmond wieder auf einen bestimmten Tag des Jahreslaufes fällt. Da diese Regelmäßigkeit mehrere hundert Jahre vor Christus gefunden wurde, suchte der Grieche Meton sicherlich nicht danach, wann der Vollmond wieder auf Halloween fallen würde.
Welches Jahresereignis des damals gültigen Kalenders hier mit dem Vollmond in Verbindung gebracht wurde, ist mir nicht bekannt, die Literatur geht von einer Sonnenwende aus. Muss auch gar nicht, denn man kann diesen Zyklus auf jeden beliebigen Tag des Jahres anwenden, z. B. gehorcht dem Zyklus auch die Frage, wann denn mal wieder Vollmond am Neujahrstag sein wird, oder meinetwegen auch am Tag der Deutschen Einheit.
In einem alten Griechischen Text wird erwähnt:

Diodor schreibt, dass Meton im gleichen Jahr, als Apseudes in Athen das Amt des Archon eponymos bekleidete, auf den 13. Tag des Monats Skirophorion den Beginn seines berechneten neunzehnjährigen Kalendersystems legte.

Dieser Monat war der letzte des vierten Jahres der 86. Olympiade, das von 433 bis 432 v. Chr. reichte. Claudius Ptolemäus bemerkte, dass Meton und Euktemon in diesem Zusammenhang die Sommersonnenwende im Jahre 432 v. Chr. beobachteten. Im gleichen Text gibt er als Tag dafür den 21. Phamenoth im ägyptischen Kalender an. Dieser ist im julianischen Kalender der 27. Juni (22. Juni im gregorianischen Kalender) und gilt auch aus heutiger Sicht als verlässliches Datum für die Sommersonnenwende im Jahre 432 v. Chr.

Auf jeden Fall ist dieser Zyklus immer eine gute Möglichkeit, den Mondkalender mit dem Sonnenjahr neu in Übereinstimmung zu bringen. Man darf sich hier von den verschiedenen Kalendern und den anderen Monatsnamen nicht ins Bochshorn jagen lassen, denn es ist leicht verwirrend.
Dieser Zyklus wiederholt sich alle 19 Jahre. Das bedeutet, dass wir im Jahre 2039 wahrscheinlich wieder einen Halloween- und im Jahre 2034 einen Weihnachtsvollmond haben werden.
Wahrscheinlich sage ich deshalb, weil durch Schalttage etc. der Zyklus auch mal 38 Jahre, also das doppelte, betragen kann.
Bei der Bestimmung des jährlich im julianischen (heute im gregorianischen) Kalender anderen Oster-Termins spielt die 19-Jahre-Periode eine wesentliche Rolle.
Die Mathematik dazu erspare ich uns jetzt. Wer es genauer wissen möchte, kann bei
Wikipedia hervorragend seinen Wissensdurst stillen. Hab ich auch so gemacht.

Und jetzt lade ich euch ein, euch diesen Zyklus sogar akustisch vorzustellen.
Starten wir heute, an Halloween 2020 ein Glockengeläut mit zwei Glocken, von denen die eine immer wieder am 31.10. eines jeden Jahres und die andere immer bei Vollmond erklingt.
Dann wird die rasche Vollmondglocke ungefähr alle 29 Tage erklingen und die Halloween-glocke immer am 31.10. eines jeden Jahres. Die sich zwischen durch ergebenden Fehltöne durch Schalttage, lassen wir hier außen vor, da das sich immer wieder alle vier Jahre korrigiert.
Nun werden sich die beiden Glocken am 31.10.. um einige Tage darum verschieben, wie man das Phänomen hören kann, wenn kleine und große Kirchenglocken sich klanglich zeitlich voneinander entfernen, sich dann wieder annähern und plötzlich mal wieder einen Schlag gemeinsam tun dürfen.
Das geschieht nun im Meto-Zyklus alle 19 Jahre.
Für unser Beispiel bedeutet das, dass die Vollmond-Glocke und die Halloween-Glocke heute ihren gemeinsamen Schlag getan haben und den nächsten 2039 tun werden, spätestens aber 2058.

Wäre mal spannend, wie lange die Seile sein müssten, an welchen diese Glocken hängen, bzw. wie hoch der Glockenturm. Ob der dann schon zum Mond reichte? Diese Pendel-Berechnungen sind bei mir verdammt lang her, dass ich das gelernt habe, aber vielleicht mag ja von euch das mal jemand versuchen. Es wäre ein Juvel in unseren Kommentaren…

Wem das Hörbeispiel hier zu abstrakt erscheint, kann es täglich ausprobieren. Hört einfach mal auf zwei Glocken eines Geläutes und beachtet die anderen dabei nicht. Nehmt die höchste und die tiefste Glocke, dann versteht ihr, was ich meine.

Und hier noch ein akustisches Beispiel:
Kann sich jemand von euch noch an die schönen alten Tick-Tack-Wecker erinnern, die man aufziehen musste?
Wenn man sie auseinander baute, und selbstverständlich nimmermehr wieder ans laufen brachte, dann blieben einem immerhin schöne Zahnräder als Kreisel, die Federn und das leuchtende Ziffernblatt.
Ich war stets fasziniert davon, wie die beiden Wecker auf den Nachttischen meiner Eltern gegeneinander tickten, wie der Abstand zwischen ihnen immer größer wurde, dann wieder kleiner und schließlich hatten die Wecker immer wieder mal ein oder zwei aufeinander folgende Ticks gemeinsam, um sich dann wieder voneinander zu entfernen.
Man stelle sich vor. Ich im „Gräble“ zwischen Mama und Papa höre diese Wecker. Schön, nicht wahr?

Und mit diesem weiteren akustischen Beispiel endet mein heutiger Artikel zum Halloween-Vollmond.

Wer war der Erste? – Ein Streit um die Entdeckung der Sonnenflecken


Liebe Leserinnen und Leser,

Heute geht es nochmals um einen Streit in der Wissenschaft. Schon im letzten Artikel hatten wir ja die spannende Geschichte zur Frage, ob die Sonne kalt sei und lediglich eine heiße Atmosphäre besitze, oder umgekehrt.
Passend zum bevorstehenden Reformationstag, der leider in Baden-Württemberg kein Feiertag ist, fand ich eine Geschichte über einen wissenschaftlichen Streit, in welcher ein evang. Pfarrer eine wesentliche Rolle spielte, dessen und seines Sohnes Lebenswerk zu Astronomie ich im Artikel zum Reformationstag 2019 beleuchtete.
Es geht um die spannende Frage, wer der erste Entdecker der Sonnenflecken war.
Nicht immer ist so etwas ganz einfach auszumachen. Es menschelt eben auch in der Wissenschaft. Das war schon immer so.

Heutzutage schreibt man die Erstentdeckung in der Regel der Wissenschaftler*in zu, die diese zuerst veröffentlicht.
Wenn es danach geht, wer zuerst veröffentlichte, dann war die Entdeckung der Sonnenflecken ein Ostfriesischer Fund.
David Fabricius war Pfarrer in Resterhave bei Dornum und später in Osteel in Ostfriesland. War er tagsüber für seine Gemeinde da, so widmete er sich nachts den Sternen. Diese Nebenbeschäftigung brachte ihm Ansehen, weit über Ostfriesland hinaus. Mit Tycho Brahe, dem
großen dänischen Astronomen stand er in Kontakt, mit Johannes Kepler führte er einen intensiven Briefwechsel. Auch sein ältester Sohn Johann fühlte sich zur Astronomie hingezogen.
Doch sein Vater schickte ihn zum Medizinstudium in verschiedene Städte, u. A. auch nach Holland an die Universität Leiden. Kurz zuvor wurde in Holland das Fernrohr erfunden. Es ist gut möglich, dass der junge Fabricius und sein Vater ihre Teleskope von den Niederlanden aus bezogen.
Und so erblickte der junge am 9. März 1611 mit einem seiner Fernrohre auf der Sonnenscheibe einen kleinen schwarzen Fleck. Anfangs glaubt er an eine Täuschung. Er ruft den Vater, doch auch der sieht den Fleck. Sie verfolgen die Sonne im Fernrohr den ganzen Tag über. Der Fleck bleibt unverändert. Die Nacht verbringen sie voller Unruhe, den Sonnenaufgang können sie kaum erwarten. Als schließlich die Sonne über den Horizont tritt, ist der Fleck immer noch zu sehen. Johann Fabricius veröffentlicht die Neuigkeit im Jahre 1611. Damit hat er als erster die Entdeckung der Sonnenflekken angezeigt.
Geschrieben hatte Johann Fabricius zwar als erster über die Entdeckung der Sonnenflecken, aber zuerst gesehen, haben sie vor ihm längst andere.

Mit Hilfe des neu erfundenen Fernrohres sah sie bereits der englische Mathematiker und Philosoph Thomas Harriot (1560-1621) am 8. Dezember des Jahres 1610, was man freilich erst 200 Jahre später seinen unveröffentlichten Notizen entnommen hat.

Drei Tage vor Fabricius, nämlich am 6. März 1611, bemerkten der jesuitenpater Christoph Scheiner (1575-1650) in Ingolstadt und sein Schüler und Gehilfe Johann Baptist Cysat (1588-1657) die Flecken auf der Sonnenscheibe.
Doch Scheiners Vorgesetzter im Orden glaubte nicht an Flecken auf der Sonne. Er soll gesagt haben:

Die Sache wird von keinem alten Philosophen erwähnt. Ich habe meinen Aristoteles mehr als einmal von
Anfang bis zu Ende durchgelesen, aber nichts Ähnliches gefunden. Also halten Sie diese Absurdität zurück und geben Sie sich nicht öffentlich bloß, sondern seien Sie vielmehr überzeugt, dass es bloß ein Fehler Ihres Auges oder Ihres Fernglases ist, welches Sie sogar in der Sonne Flecken sehen lässt.

zitierte der Gymnasialprofessor Lorenz Wöckel in einem 1844 erschienenen Buch „Populäre Vorlesungen über die Sternkunde“ den Ordensmann.

Um nicht gegen den Rat seines Vorgesetzten zu handeln, berichtet Scheiner darüber nur in zwei Briefen an den Augsburger Patrizier Marcus Welser (1558-1614). Doch Welser ließ die Briefe drucken. Um Scheiner nicht in Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten zu bringen, erscheinen sie unter dem Pseudonym „Apelles“.

Als Galileo Galilei davon erfährt, schreibt er an Welser nach Augsburg und erklärt, dass er die Flecken auf der Sonne schon längst, nämlich 1610 gesehen habe. Nun beginnt zwischen Scheiner und Galilei ein Streit um den „ersten Platz“.
Als Scheiner später neun Jahre in Rom lebt, gibt er 1630 sein großes astronomisches Werk „Rosa Ursina“ heraus, das Niederschriften zahlloser Beobachtungen von Sonnenflecken enthält. Zu dieser Zeit ist Scheiner bei den Jesuiten als Wissenschaftler bereits hoch angesehen, und so erscheint das Werk nunmehr unter seinem eigenen Namen. Er kann sich zahlreiche Seitenhiebe auf Galilei nicht verkneifen. So sehr Galilei und Scheiner sich auch bekämpften, sie waren sich einig, Fabricius „Entdeckung“ zu ignorieren.
Scheiner projezierte die Sonne durch sein Fernrohr auf einen weißen Papierschirm und erhielt so ein scharfes Bild der Sonnenscheibe.

Eigentlich hätte man schon lange vor der Erfindung des Fernrohres auf die Sonnenflecken aufmerksam werden sollen, denn immer wenn Sonnenstrahlen durch kleine Öffnungen in Fensterläden oder Türen auf eine gegenüberliegende Wand fallen, entsteht ein kleines Bild der Sonnenscheibe. In ihm kann man gelegentlich auch größere Sonnenflecken erkennen.
Im Jahre 1613 reiste der römisch-katholische Kaiser Matthias zum Kurfürstentag nach Regensburg. Da man beabsichtigte, den Gregorianischen Kalender einzuführen, war auch Johannes Kepler, der damals in Linz arbeitete, als Kalenderfachmann geladen.
So betrat er im Juli jenes Jahres zum ersten Mal die Stadt, in der man ihn 17 Jahre später bestatten sollte. Beim Besuch des Doms betrachtete er die scheibenförmigen Sonnenbilder, die das durch kleine Öffnungen fallende Sonnenlicht nach dem Prinzip der Lochkamera auf den Boden warf. Er berichtete später:

Ich sah in der Kathedrale und zeigte auch den dabeistehenden Bekannten die Spuren der Sonnenflecken in den kleinen Lichtkreisen, die durch die Ritzen der Fenster aus der Höhe herabfielen.

Diese Erscheinung hätte man natürlich auch schon vor der Erfindung des Fernrohrs bemerken können, denn es bedarf dazu nicht eines zur Lochkamera umfunktionierten Doms.

Aber zurück zu unseren „Streithähnen“.
Der Streit zwischen den beiden Rivalen bekommt noch dadurch ein ganz besonderes „Geschmäckle“, wie wir süddeutschen sagen, dass der Mönch Scheiner sich noch dem ptolomäischen Weltbild mit der Erde als Mittelpunkt verpflichtet fühlte. Galilei hingegen hatte sich längst schon dem kopernikanischen Weltbild mit der Sonne als Mittelpunkt des Sonnensystems zugewandt.
Der Verdacht, dass Scheiner am Zustandekommen des Prozesses gegen Galilei im Jahre 1633 Anteil gehabt hatte, lässt sich allerdings nicht erhärten.

Der junge Fabricius mag vielleicht der erste gewesen sein, der eine wissenschaftliche Abhandlung über Sonnenflecken verfasst hat, aber alte Dokumente deuten darauf hin, dass auch schon andere welche gesehen hatten.
Von Zeit zu Zeit erreicht ein Fleck auf der Sonne einen Durchmesser von mehr als 50 000 km. Dann kann man ihn sogar schon mit unbewaffnetem Auge durch Dunst oder Nebel hindurch sehen. Natürlich nur dann, wenn die Sonne dadurch so abgeschwächt ist, dass man problemlos in die Sonnenscheibe blicken kann.
Bereits in der Zeit vor Christi Geburt findet man Niederschriften über dunkle Punkte auf der Sonnenscheibe. Es ist nicht immer leicht, sich in den alten Berichten zurechtzufinden, so, wenn man etwa liest, dass im Jahre 354 v. Chr, in der Sonnenscheibe ein dunkles Gebilde „so groß wie ein Hühnerei erschienen sei. In alten chinesischen Quellen sind 45 Berichte über Sonnenflecken aus dem Zeitraum zwischen 301 v. Chr. und 1205 n. Chr. zu finden. Einhard, der Biograf Karls des Großen, schreibt, dass im Jahre 807 der Planet Merkur acht Tage lang als dunkler Fleck vor der Sonne gestanden habe. Das muss ein großer Sonnenfleck gewesen sein, denn Merkur kann nie länger als etwa einen halben Tag vor der Sonne stehen.
Kepler hat am 28. Mai 1607 in Prag ebenfalls einen dunklen Fleck vor der Sonne gesehen und für den Planeten Merkur gehalten. Erst später, nachdem er von den Sonnenflecken erfahren hatte, wurde ihm bewusst, dass er wohl einen großen Fleck auf der Sonne wahrgenommen hatte, wie er einem Brief an David Fabricius anvertraute. So besteht kein Zweifel, dass es auch schon vor Jahrhunderten Sonnenflecken gegeben hat.

Und ja, wie sich das menschliche Schicksal manchmal so fügt.
Wir wissen nicht genau, wann der junge Fabricius starb. Von seinem Tod erfahren wir nur durch einen Nachruf aus der Feder von Johannes Kepler. Vater Fabricius folgte ihm kurz danach. Nachdem er einen Bauern öffentlich von der Kanzel beschuldigt hatte, er habe ihm seine Gänse gestohlen, wurde er mit einem Spaten erschlagen.

So, meine lieben, das war der Streit über die Entdeckung der Sonnenflecken. Ich hoffe, es hat etwas gefallen.
Lesen, Liken und Kommentieren hilft mir sehr, diesen Blog weiter zu entwickeln.

Die Sonne, zwei Preise und ein Rechtsstreit


Liebe Leser*innen,

Jetzt wird es aber höchste Eisenbahn, dass der Blindnerd mal wieder aus seiner Schreibmüdigkeit erwacht, und einen neuen Artikel raus haut…

gerade wurden die Nobel-Preise für 2020 verliehen. Mich freut sehr, dass derjenige für Physik auch zu einem Teil an die Astrophysikerin Andrea Ghez ging. Sie wies gemeinsam mit Reinhard Genzel das massereiche schwarze Loch im inneren unserer Galaxis nach, indem sie Sterne beobachteten, die es umkreisen. Der dritte im Bunde, Roger Penrose lieferte fundamentale mathematische Grundlagen zur mathematischen Beschreibung, wie schwarze Löcher entstehen. Wer mich kennt, weiß, dass ich jetzt sicher nicht über diese Nobelpreise berichten möchte. Das haben andere schon ausführlich getan. Es geht heute aber tatsächlich um eine Preisverleihung und einen Rechtsstreit, der mit der Sonne zu tun hat.
Etwas Tragik kommt natürlich, wie das zu einer spannenden Story gehört, auch vor. Viel Freude mit der Story.
Begeben wir uns also in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts:

Man konnte nachher nicht mehr feststellen, wieso das Auto das Brückengeländer durchbrochen hatte. Als der Patentanwalt Gottfried B aus Osnabrück sich schwimmend ans Ufer retten wollte, erlitt er einen tödlichen Herzschlag. Sogar die Abendnachrichten berichteten davon, denn B stand im Zentrum eines interessanten und ungewöhnlichen Zivilprozesses, der von den Medien rege verfolgt wurde. Es ging ihm um die Frage, ob man drei Astronomen finden könne, die beweisen sollten, dass die Sonne in ihrem Inneren heiß und nicht kalt ist. B war nämlich der Meinung, es wäre umgekehrt. Er dachte, sie habe einen kühlen Kern und eine heiße Atmosphäre. Er war sich sogar sicher, dies beweisen zu können. Er wähnte in den Sonnenflecken, die seit dem 17. Jahrhundert bekannt waren, löcher in der heißen Sonnenatmosphäre, durch die man manchmal den kühleren Sonnenkern erblickte.
Gottfried B. war wohl mit der Thermodynamik nicht besonders vertraut.
Aber B’s Idee ist schon mit den einfachsten Gesetzen der Physik nicht haltbar.

Naja, das kommt schon immer mal wieder vor, dass Laien meinen, sie hätten ein Welträtsel gelöst. Immer wieder erhalten physikalische Institute Zuschriften, die beispielsweise behaupten, dass die Relativitätstheorie von Einstein falsch sei, oder das der Verfasser nun doch ein Perpetuum Mobile entwickelt habe. Ganz ausschließen kann man natürlich nicht, dass nicht auch mal ein Außenseiter eine wissenschaftliche Entdeckung macht, bzw. einen Fehler in einer Theorie aufdeckt, aber das ist heutzutage doch eher unwahrscheinlich. Meistens benötigt man für derlei riesige Messinstrumente, wie z. B. den LHC, der nun einmal nicht in ein Wohnzimmer passt, oder man benötigt große Computer und enormes Fachwissen, das ohne ein intensives Studium des Forschungsgegenstandes nicht vorhanden sein kann. Nichts desto Trotz. Es kann manchmal doch vorkommen.

Gerade jetzt, in der Pandemie, erleben wir hautnah, wie Wissenschaft funktioniert. Da werden Theorien über das Virus verfeinert, vielleicht sogar über den Haufen geworfen, die Modelle zu dessen Verbreitung werden desto besser, um so mehr Daten man über die Fallzahlen bekommt. Und ja, auf der anderen Seite erleben wir in einem unglaublichen Ausmaß diejenigen Menschen und Schwurbler, die es meinen besser zu wissen…
Mir jedenfalls ist kein Fall der letzten 150 Jahre bekannt, wo ein Laie die Schulwissenschaft eines besseren belehrte.

Doch Gottfried B war ein wohlhabender Mann. So konnte er für seine Idee zwei Preise von jeweils 25000 DM aussetzen.
Den ersten für denjenigen, der B’s eigene Theorie widerlegen kann, wonach auf der Sonne eine heißere
Wolkenhülle einen festen, kühlen Sonnenkern verbirgt, der möglicherweise Vegetation trägt. Der zweite Preis war für den bestimmt, der beweist, dass die Sonne tatsächlich in ihrem Inneren Temperaturen von vielen Millionen Grad aufweist. Der Patentanwalt bestellte ein Preisrichterkollegium: den Nobelpreisträger Werner Heisenberg, den Physikprofessor Clemens Schaefer und einen Hamburger Anwalt. Sie sollten entscheiden, ob eine der eingereichten Schriften preiswürdig sei.

Ignorieren konnten die Fachastronomen die These des streitbaren Patentanwaltes natürlich nicht, weil sonst der Eindruck entstanden wäre, sie wüssten es wirklich nicht, ob der Sonnenkern nun kalt und deren Atmosphäre heiß sei, oder umgekehrt…
Und so trat schließlich die Deutsche astronomische Gesellschaft auf den Plan, deren, und das nur am Rande, stolzes Mitglied ich mich nennen darf.
Sie war an den Geldpreisen interessiert, da sie bei Kriegsende ihr gesamtes Vermögen verloren hatte. Ihr damaliger Vorsitzender, Otto Heckmann, Direktor der Sternwarte in Hamburg-Bergedorf, nahm die Mitglieder in die Pflicht und legte ihnen nahe, sich nicht einzeln an dem offensichtlich leicht zu gewinnenden Preisausschreiben zu beteiligen. Statt dessen schlug er vor, dass zwei angesehene Mitglieder, die Professoren Ludwig Biermann und Heinrich Siedentopf, zusammen mit ihm eine Schrift verfassen sollten, welche die Bedingungen des ersten der beiden Preise erfüllt.

Tatsächlich sprach das Preisrichterkollegium dem von den drei Autoren gefertigten Manuskript den Preis für die Widerlegung von B’s Theorie zu. Doch B. erkannte den Schiedsspruch nicht an und ging vor Gericht.

Das ist oft so, dass sich Außenseiter, die meinen, etwas gefunden zu haben, sich mit den besten Argumenten nicht überzeugen lassen, dass sie falsch liegen. Das erleben wir momentan dauernd auf tragische Weise bei den Leugnern des Klimawandels.
Keine Wetterkatastrophen, keine Daten zur Erwärmung, keine Waldbrände und auch sonst nichts, bringt sie von ihrer festgefahrenen Meinung ab, weshalb es oft relativ sinnlos ist, mit ihnen zu diskutieren.

Der Prozess von B. lief durch mehrere Instanzen und die Medien nahmen regen Anteil daran.
Irgendwie ähnelte das ganze für Außenseiter dem Verfahren Galileo Galileis.
Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Prozessen war, dass Galilei Recht hatte, und trotzdem widerrief, und Gottfried B. hatte nicht Recht, und widerrief auch nicht. So verlor der streitbare Anwalt in zwei Instanzen.

NatÜrlich hatten die Richter nicht über die Temperatur der Sonne zu befinden, sondern darüber, ob das Preisausschreiben ordnungsgemäß durchgeführt worden war. Ehe das Verfahren vor die letzte Instanz kam, dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, verunglückte der streitbare Patentanwalt. Nach dem Karlsruher Urteil erhielt die Astronomische Gesellschaft den ersten der beiden Preise. Da es dazu mehrerer gerichtlicher Instanzen bedurft hatte,
verzichtete man schließlich darauf, sich auch um den zweiten zu bemühen.

War der Osnabrücker Patentanwalt heutzutage verhältnismäßig leicht zu widerlegen, so war doch noch selbst ein so angesehener Astronom wie William Herschel, der Entdecker des Uranus, Überzeugt, dass der Sonnenkörper in seinem Inneren kalt ist und nur die Sonnenatmosphäre eine hohe Temperatur besitzt. Aber
damals steckte die Wärmelehre, die sogenannte Thermodynamik, noch in ihren Kinderschuhen, und man wusste noch nicht, dass ein kalter Körper nicht unter einer heißen Hülle verborgen sein kann, ohne dass er sich entweder aufheizt, oder sich die Hülle seiner Temperatur anpasst.

Ferner wissen wir Heute, dass wir durch die Sonnenflecken nicht auf einen kalten Körper im Inneren schauen und dass die Sonne in ihrem Zentrum Temperaturen aufweist, welche die ihrer Atmosphäre um mehr als das Zweitausend fache übertreffen.

Und um diese Flecken wird es im nächsten Artikel zum Reformationstag gehen.
Bis dahin, alles gute und bleibt gesund.