Nachruf auf einVorbild und einen großartigen Wegbegleiter – Professor Dr. Rudolf Kippenhahn


Liebe Leser*innen

bevor wir in unseren Themen zu Astronomie weiter machen, möchte ich hier sehr gerne einen kleinen Nachruf auf einen großartigen Astronomen und Sonnenforscher einfügen, der mir seit Mitte der 80iger Jahre des letzten Jahrtausends ein großer Wegbereiter war.

Am 15.11.2020 ist der große Forscher Professor Doktor Rudolf Kippenhahn mit vierundneunzig erfüllten Jahren von uns gegangen.

im Grunde zeichnet meine Physik- und Chemielehrerin dafür verantwortlich, dass ich mich ganz und gar 1987 der Wissenschaft und Astronomie verschrieb, und dass ich mich nach meiner mittleren Reife zu Abitur und Studium über den zweiten Bildungsweg entschloss. Da sie mich mit Prof. Kippenhahn in Verbindung brachte, ehre ich an dieser Stelle auch diese Wegbereiterin, die leider auch schon nicht mehr unter uns weilt.

Ein Samenkorn der Wissenschaft erblüht

Da die gesamten Rechte meines Buches wieder bei mir liegen, zitiere ich hier daraus:

Ausschlaggebend hierfür war der naturwissenschaftliche Unterricht in Physik und Chemie, den ich dort besuchte. Er wurde von einer Anthroposophin gegeben, die ich bis heute für die beste Blindenpädagogin in meinem Leben halte. Die Versuche und Experimente durften wir alle selbst durchführen. Der Umgang mit Säuren, Laugen, Bunsenbrenner und Elektrizität war nie ein Tabu, nur weil wir nicht sehen konnten. Die Versuche wurden so adaptiert, dass wir in der Lage waren, selbst zu den gewünschten Ergebnissen zu gelangen. Hierbei halfen oft ganz einfache Tricks, denn es gab noch keine sprechenden Messgeräte.
Bildete sich beispielsweise bei einem chemischen Versuch ein Niederschlag im Filter, wiesen wir ihn nach, indem wir das Substrat in eine alte Blechdose tropfen ließen. So konnten wir die einzelnen Tropfen gut auf dem Blech aufschlagen hören und merkten genau, dass der Filter sich zusetzte, wenn die Tropfgeschwindigkeit abnahm. Bald schon wurde ich davon gepackt und brachte mich aktiv in den Unterricht ein, indem ich Möglichkeiten entwickelte, Versuche für Blinde zugänglicher zu machen. Außerdem durfte ich mich an der Entwicklung einer Tafel beteiligen, mit deren Hilfe es Blinden möglich wurde, chemische Formeln mittels spezieller Formelbausteine zu legen.
Überhaupt war dieser Unterricht weit mehr als nur Physik und Chemie. Er eröffnete uns eine ganzheitliche Sicht auf die Welt. Diese Stunden waren gespickt mit Bezügen zu Philosophie, Religion und auch mit geschichtlichen Hintergründen.

Der erste Kontakt mit Rudolf Kippenhahn

Ich zitiere weiter aus meinem Buch

Bald schon merkte diese Lehrerin, dass ich für diese ganzheitliche Weltsicht sehr empfänglich war. Somit durfte ich oft mit ihr naturwissenschaftliche Vorträge in Stuttgart besuchen. Ganz eindrücklich in Erinnerung ist mir ein Vortrag über die Sonne von Rudolf Kippenhahn geblieben. Bis dahin wusste ich zwar, dass in der Sonne Wasserstoff zu Helium verbacken wird und darüber hinaus weitere schwerere Elemente entstehen, aber von Sonnenflecken, der Korona, den magnetischen Stürmen und Flares, wusste ich noch nichts.

Zur Erklärung: Flares sind riesige Explosionen auf der Sonnenoberfläche, bei welchen große Mengen an Teilchen in den Weltraum geschleudert werden können. Erreicht ein solcher Teilchenausbruch die Erde, so entstehen Nordlichter und magnetische Stürme.

Im Anschluss an den Vortrag fand eine Ausstellung statt, auf der unter anderem eine Weltraumkamera und vor allem ein recht großer Meteorit ausgestellt waren, den ich dann – von Prof. Kippenhahn ausdrücklich erwünscht! – anfassen durfte. Von diesem Moment an gab es für mich kein Halten mehr. An diesem Tag – es muss im Jahr 1988 oder 1989 gewesen sein –bin ich in meinem Herzen Astronom geworden.

Die zweite Begegnung

Meinen zweiten Kontakt zu Prof. Kippenhahn hatte ich Mitte der 90er Jahre.
In der Blindenhörbücherei entdeckte ich – auf ungefähr 20 Kassetten aufgelesen – das Buch
Der Stern von dem wir leben – den Geheimnissen der Sonne auf der Spur
Von Rudolf Kippenhahn, dem dieser Nachruf gilt und dessen Vortrag ich schon erwähnt habe. Mich faszinierte an diesem Buch vor allem, dass alle darin enthaltenen grafischen Elemente zusätzlich mit einer derart ausführlichen Texterklärung versehen waren, wie ich es selten bei anderen Autoren erlebt habe. Es schien fast so, als würde er auch an blinde Menschen denken, die auf derlei Beschreibungen angewiesen sind.
Vieles, was ich über die Sonne weiß, kam aus diesem Hörbuch und hat sich mit vielen anderen Quellen vermischt, so dass sich das gar nicht mehr ganz klar sagen lässt, aber er war der Türöffner und lies die Sonne in mein Herz, meinen Geist und meine Seele.

Kontakt Sonnenfinsternis

Ein großartiges Begleitbuch von Rudolf Kippenhahn war mir das Buch Schwarze Sonne, roter Mond das er quasi als Vorbereitung auf die Sonnenfinsternis, die am 11.08.1999 gut über Süddeutschland zu sehen war.
Hier nochmal ein kurzes Zitat aus „Blind zu den Sternen“

Aber lassen Sie mich an dieser Stelle erneut einen meiner größten Wegbereiter würdigen: Eine große Hilfe im Verständnis einer Sonnenfinsternis waren für mich zwei Bücher von Rudolf Kippenhahn: „Der Stern, von dem wir leben – den Geheimnissen der Sonne auf der Spur“ und „Schwarze Sonne, Roter Mond“. Seine Bildbeschreibungen sind so, als wären sie ganz speziell für blinde Menschen eingefügt worden: klar, verständlich und präzise.

Ohne diese Bücher hätte ich die Sonnenfinsternis niemals so lebendig und anschaulich erleben können.
Lassen Sie mich hier noch kurz eine kleine Begebenheit erzählen, die sich so tatsächlich mit seinem Buch zu trug:

Die Finsternis auf der Flugroute

Anfang Januar 2015 unternahm ich mit meiner sehenden Arbeitsplatzassistenz
eine Dienstreise nach Istambul.
Folgendes ist dort auf dem Hinflug geschehen:
Der Pilot erklärte die Flugroute, indem er wichtige Länder, Städte und Meere aufführte, die wir nacheinander passieren würden.
Da kam mir die Reihenfolge und Aufzählung der Städte gleich irgendwie bekannt vor.
Und dann durchfuhr es mich wie ein Blitz.
Wir flogen fast exakt die Route entlang derer am 11.08.1999 die totale Sonnenfinsternis beobachtet werden konnte.
Ich fand dieses unglaublich schön. Glücklicherweise hatte ich noch das Buch “Schwarze Sonne, roter Mond” von Rudolf Kippenhahn zur Sofi 1999 auf meinem MP3-Player als aufgelesenes Hörbuch. So konnte ich gleich noch im Flieger meine Vermutung überprüfen. Ein Blick auf den Fahrplan dieser Sf ergab, dass ich im wesentlichen Recht hatte.
Dieses Heureka erlebte glaube ich der halbe Flieger mit, weil es mich unglaublich freute, in welchem Zusammenhang diese alte Sofi nochmal auftauchte.

Sein phänomenales Gedächnis

Ein mal durfte ich Prof. Kippenhahn noch vor einigen Jahren bei einem Vortrag erleben. Danach sprach ich ihn an, und er konnte sich noch an mich erinnern. Leider konnte ich ihm noch keine signierte Version meines Buches schenken, da es erst wenige Monate später erschien.

Auf jeden Fall danke ich ihm herzlich für den Weg, den er mir durch seine Bücher und seine Persönlichkeit öffnete. Er, meine erwähnte Lehrerin und noch viele andere führten mich zu dem, was ich heute in Astronomie lernen durfte, ermunterten mich zu meinem Buch und meinen sonstigen Astronomie-Veranstaltungen. Er entzündete in mir 1987 ein Feuer, das niemals erlöschen wird.
Die Sternwarte Peterberg in deren Vorstand und Leitungsteam ebenfalls eine Person mit starker Sehbeeinträchtigung sitzt, hat einen schönen und sehr lesenswerten Lebenslauf von ihm veröffentlicht.

Gehabt euch wohl und bleibt gesund.

Wanderer mit kurzem Leben – Das Wandern der Sonnenflecken


Liebe Leser*innen,

nachdem wir im letzten Artikel einen kleinen Exkurs über meine Corona-Erlebnisse machten, wenden wir uns heute wieder in diesen düsteren Zeiten unserem Stern von dem wir leben, zu. Ich komme von ihm einfach nicht los. Es geht heute, und vermutlich auch noch in weiteren Beiträgen darum, was wir in den letzten Jahrhunderten alles durch die entdeckten Sonnenflecken über unseren Stern lernen durften. Heute geht es um die Bewegung der Sonnenflecken.

Waren die Sonnenflecken erst mal entdeckt, zogen diese schon bald Hobby- und Amateurastronomen in ihren Bann. Sie sind vor allem für erstere Gruppe ein ideales Beobachtungs-Ziel, standen jenen doch meist nur kleinere Fernrohre zur Verfügung, die für die Observation von Sonnenflecken aber durchaus ausreichend waren. Daran hat sich bis heute nichts geändert, dass die Astronomie Amateuren immer wieder die Chance bietet, mit genügend List, Geduld und kleinerer Ausrüstung, auch Entdeckungen zu machen. Außerdem sind sie für die Wissenschaft unverzichtbar, denn alle Teleskope der Welt können nicht gleichzeitig an jede Stelle des Himmels blicken. Somit sind Amateure oft schon ob ihrer großen Zahl und ihrer vielen Augen eine große und wichtige Ergänzung und Hilfe.
Das ist mit ein Grund dafür, was die Astronomie so inklusiv macht.

Nun zur Wanderung der Sonnenflecken:

Erste Entdeckung

Bald schon nach ihrer Entdeckung viel auf, dass sie im Laufe von Tagen über die uns zugewendete Sonnenscheibe wandern. Ein beobachteter Sonnenfleck taucht am nächsten Tage etwas weiter westlich wieder auf. Schon der im Artikel Wer war der Erste erwähnte ich, dass der Mönch und Astronom Scheiner, von Hand die Wanderung der Sonnenflecken zeichnete. Ein Fleck bewegt sich ungefähr im Laufe von 13 Tagen vom Ost- zum Westrand der Sonnenscheibe. Da die Sonne eine Kugel ist, sieht man die Flecken an den Rändern perspektivisch verzerrt. Ein kreisförmiger Fleck erscheint somit von der Seite der Sonnenscheibe her gesehen oval. In der Bewegung der Flecken sehen wir die Rotation der Sonne selbst. Wie es von einer sich drehenden und fleckigen Kugel zu erwarten ist, erscheint uns die Bewegung ihrer Flecken an den Rändern langsamer als in der Zeit, in welcher sie über die uns näher zugewandte Sonnenscheibe ziehen. Das ist so, weil der Fleck an den Seiten sich entweder auf uns zu, oder von uns weg bewegt. Das können wir sehr schlecht unterscheiden. Zieht er mitten über die Scheibe, so liegt seine Bewegungsrichtung quer zu unserer Blickrichtung, was ihn für uns schneller erscheinen lässt. So zeigt uns ihre Wanderung, dass sich die Sonne etwa ein mal in siebenundzwanzig Tagen um sich selbst dreht. Manche Flecken sind so beständig, dass sie mehrere Rotationen überleben. Dann erscheint er am nächsten Tag wieder am Ostrand hinter der Sonne hervor. Dass es sich um den selben Fleck wie „gestern“ handelt, ist in der Tat nicht ganz so einfach zu erkennen. Um sich auf der Sonne zu orientieren, teilen Astronomen sie in Gruppen ein und zählen sie sogar. Da Sonnenflecken oft in Gruppen beieinander stehen, ist das ein zuverlässiges System. Sicher legen Sonnenforscher auch ein Koordinatennetz über die Sonne, um sich zu orientieren ähnlich dem, wie Seefahrer das schon seit jahrhunderten über den Globus oder den Himmel spannen.
Sonnenflecken entstehen und vergehen. Manche überleben nur wenige Stunden und andere eben mehrere Sonnenrotationen.

Die Rotation der Sonne

Man sah, dass die Äquator-Region der Sonne quasi der Rotation ihrer Kappen voraus eilt. Sie dreht sich also in ihren äußeren Schichten nicht, wie eine starre Kugel. Das tut sie erst ab einer Tiefe von vielen Tausenden Kilometern, wo die Drücke so hoch sind, dass sie so kompakt wird, dass sie sich wie ein starrer Körper dreht. Das erfuhr man, als man Klangmodelle und Schallbeobachtungen auf ihr anstellte. Siehe den Artikel Die Sonne tönt.

Auch sie steht schief

Die Flecken und deren Bewegung haben uns außerdem verraten, dass die Rotationsachse der Sonne nicht senkrecht auf der Ekliptik steht. So sehen wir im Laufe des Jahres mal etwas mehr auf ihre Nordhalbkugel und mal eher auf ihre Südhalbkugel. Bei dieser Entdeckung ist zu bemerken, dass auch die Erdachse nicht senkrecht auf der Ekliptik steht. Sie ist um etwa 23 Grad geneigt und verursacht so unsere Jahreszeiten. Außerdem ändert sich im Jahreslauf unsere Draufsicht auf die Sonne. All das musste berücksichtigung finden, als die Entdeckung gemacht wurde.
Ist das nicht spannend und schön?

Das Aussehen der Sonnenflecken

Schon auf Scheiners Zeichnungen ist zu erkennen, dass ein Sonnenfleck einen dunkleren Kern besitzt und einen weniger dunklen Hof. Den Kern nennt man Umbra und den Hof die Penumbra. Moderne Aufnahmen zeigen, dass die Penumbra eine Art Filamentstruktur aufweist. Das sind leuchtende Linien oder Strahlen, die von Kern her nach außen laufen.

Außerdem erscheinen Sonnenflecken so, als wäre ihr Kern tiefer als die Sonne darum herum. Der Hof oder die Penumbra erscheint, als bildete sie die ‚Wände einer Grube, an deren Grund der Kern des Flecks ruht.

Wer sich erinnert, so hat sogar noch Herschel die Sonnenflecken für Löcher in ihrer leuchtenden Atmosphäre gehalten, durch welche man auf ihren kühleren und somit dunkleren Kern blickt.

Dieser „Grubeneffekt“ wird heute nach einem seiner Entdecker, das Wilsonsche Phänomen genannt.
Steht ein Fleck nicht in der Mitte der Sonnenscheibe, erscheint der dem Zentrum nähere Teil der Penumbra etwas schmaler. Das hängt mit der Kugelform der Sonne zusammen.
Über die Tiefe solch einer Grube eines Sonnenflecks habe ich mal gelesen, dass in manchem großen Fleckengrube die Erde bequem Platz fände.

Fazit

Trotz der heute bekannten merkwürdigen Rotation, der Thermodynamik und dass die Magnetfelder der Sonne gefunden sind, gibt es noch keine Theorie, die alles erklärt, was zu Sonnenflecken, ihrer merkwürdigen Rotation und über die Zyklen des Erscheinens von Sonnenflecken führ. Über letztere werden wir noch zu sprechen haben.

So, meine lieben. Ich sagte es ja, es werden mehrere Artikel werden, denn es gibt noch soooo viel über die Flecken zu berichten. Sie sind es wert, dass man sich mit ihnen beschäftigt, denn niemand kann in so ein leuchtendes Objekt, wie einen Stern, hinein blicken.
Ich hoffe, dass vor allem für die blinden Leser*innen unter uns, der Artikel nicht zu visuell war. Auch ich brauchte einiges an Zeit, um mir die Perspektiven aus der wir die Sonnenflecken betrachten, und auch das Wilson-Phänomen vorstellen zu lernen. Wer Fragen oder Anmerkungen hat, darf diese gerne in den Kommentaren absetzen, oder mich über einen meiner anderen Kanäle ansprechen.
Die Sehenden unter euch finden sicherlich schöne Bilder über Sonnenflecken auf Wikipedia.

Gehabt euch wohl, haltet durch und bleibt gesund. Ich schreibe gegen die Dunkelheit für uns an.

Mein Corona-Report


Mein Corona-Report
Liebe Leser*innen,
eigentlich wollte ich nichts mehr in meinem Blog von Corona hören lassen, aber es haben sich doch einige Leser*innen fragend an mich gewandt, wie es mir in dieser Situation so geht. Somit habe ich mich entschlossen, hier mal abseits der Astronomie, einen Artikel zu veröffentlichen, der sich mit meiner Erfahrung mit Lockdown 1 beschäftigt. Hir also mein Corona-Report:

Der Anfang

Es bahnte sich an im März, dass wir bald alle ins Homeoffice verschwinden würden, dass Gastronomie und Schulen geschlossen, Einkauf ohne Assistenz unmöglich und auch kein Sport mehr stattfinden würde.
Und so ging ich zunächst meine Situation doch noch voller Kraft und Zuversicht an.

Beruflich konnte ich in der Tat vieles im Homeoffice erledigen, aber meine Arbeitsassistenz und ich, hatten zunächst keine Basis mehr, wie wir gemeinsam arbeiten konnten. Ich musste ihm schreiben:

Liebe Assistenz,
aufgrund des Corona-Virus sind fast alle von SZS ab morgen im Homeoffice. Das bedeutet, dass wir uns die nächsten Wochen nicht treffen können.
Wir können momentan online noch nicht zusammen arbeiten, weil noch nicht klar ist, welche Software eingesetzt werden darf und soll. Ich muss erst mal ohne Assistenz das alles selbst erlernen, was die Hölle wird.
Sollte ich eine Aufgabe für Dich finden, die Du von daheim aus machen kannst, lasse ich Dich das wissen.

Ich konnte Aufgaben und Wege finden, dass wir schon nach wenigen Wochen wieder langsam online zusammenarbeiten konnten.

Und dann ging es los mit Lockdown und Homeoffice

Zunächst sah alles ganz positiv aus.
„Beim Einkaufen wird mich jetzt zwei mal pro Woche, wenn es reicht, auch nur einmal, die Nachbarschaftshilfe unterstützen.“
So dachte ich mir das. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die Helferin zur Risikogruppe gehörte und somit ausfiel.
„Außerdem werde ich mir für die Zeit vier mal die Woche über den ASB Essen auf Rädern bestellen, um nicht noch mehr einkaufen zu müssen. Ab wann das klappt, ist noch nicht ganz sicher. Da warte ich auf einen Rückruf.“
Auch dieses gestaltete sich schwierig, weil das System sehr stark belastet war im Lockdown. So entschied ich mich, den ASB nicht fürs erste zusätzlich zu belasten.
Zum Glück gibt es in unserer Gegend reichlich Restaurants, die auch in recht hoher Qualität liefern. Mit Liferando geht das alles sogar bargeld- und kontaktlos.
Allerdings mussten die Fahrer und ich uns erst aneinander gewöhnen. Am Anfang kam es vor, dass die Fahrer das Essen außen unten vor die Haustür stellten und nicht vor meine Wohnungstür. Da krabbelt man dann vor dem Haus herum, riecht sein Essen und findet es dennoch nicht, weil der Fahrer es irgendwo hin stellte, wo man es niemals vermutet hätte. Die Nachbarn gegenüber schauen zu, helfen aber nicht. Sehr demütigend… Dann entdeckte ich in der Liferando-App ein Kommentarfeld. Dort schrieb ich hinein, dass ich ob meiner Blindheit das Essen vor die Wohnungstür gebracht haben sollte. Ab da wurde das besser.
Zum Glück habe ich einen Mitbewohner, so dass ich nicht immer alleine bin und der mir auch mal hilft.

Ich hatte mir auch fest vorgenommen, jeden Abend einen lieben Menschen anzurufen oder auch mal mit mehreren z. B. online zu Abend zu essen. Das klappte auch einige Zeit ganz gut, bis ich langsam im Lockdown-Strudel versank.

Die nächste Klatsche war, dass mein Osterurlaub in Österreich auch abgesagt wurde.
Fast täglich erreichten mich nun Absagen von Vorträgen über Astronomie, die ich an Schulen und anderen Einrichtungen halten wollte. Bis Jahresende sind es um zwanzig Veranstaltungen gewesen.
Was sollte man machen. Ich dachte, jetzt kommt der Frühling und ich werde mit verschiedenen Navi-Programmen einfach üben, selbst spazieren zu gehen.
Der erste Spaziergang war dann auch fast der letzte. Als ich mich gerade dem Wald näherte, schrie mich plötzlich jemand an:

Hau ab in Deine Wohnung, willst Du krüppel uns anstecken? Verrecke lieber selbst an diesem Scheiß.

So war das. Das lasse ich jetzt einfach mal hier so stehen.
Bald schon wurde mir klar, dass man in diesen schweren Zeiten immer nur von einem auf den anderen Tag planen kann und dass man froh sein muss, wenn es einem gelingt, in seiner Tagesstruktur zu bleiben und nicht beispielsweise am Nachmittag schon sein erstes Bierchen öffnet. Rauchen tue ich allerdings leider seit Corona deutlich mehr, leider.
Aber so ganz allmählich fraß der Lockdown und die Lockerungen danach fast noch mehr, an meiner Seele.
In einem langen Hilferuf an einen Freund schrieb ich:

Ich muss schon sagen, dass es mir langsam reicht. Ich halte das psychisch nur noch wenige Wochen durch.
Die Probleme damit sind noch überschaubar, steigen aber gleichfalls langsam mehr als nur linear an.
Wahrscheinlich steigt gar nix an, ich kanns nur langsam immer schwerer ertragen.
Die ganzen Kämpfe mit bis zu sieben Team-Software-Programmen sind sehr schwierig. Da muss ich mich in diesen Dreck einarbeiten ohne Assistenz und Schulung. Das geht bei Teams z. B. quasi nicht. Öffnet man das zum ersten mal, sitzt man als Blinder weinend davor, weil nichts intuitiv geht, obwohl die Software an sich recht gut zugänglich ist.
Microsoft hat bei Teams die Barrierefreiheit wirklich gut durch dekliniert, aber ohne Anhaltspunkt, ohne eine visuelle Beschreibung, ohne einen Einstieg ist das verdammt schwierig.
Außerdem werde ich langsam für so einen Mist auch zu alt. Ich will, dass meine Kiste läuft, wenn ich den „Zündschlüssel“ umdrehe.
Und dann vergessen Sehende stets, einem alles für den Einstieg zu erklären. Rings rum höre ich nur: „Bei mir war alles kein Problem“ und der @Blindnerd fühlt sich als einziger Mensch auf der Welt, bei dem es, wie immer halt, mal wieder nicht funktioniert.
Die meisten dieser Programme sind nur teilweise bis gar nicht zugänglich. Und wenn sie es sind, dann muss man wissen wie, was ohne Einführung sehr mühsam zu erlernen ist.
Selten habe ich mich so oft als Idiot gefühlt, obwohl die Dummheit bei anderen lag. Selten in meinem Leben knallte ich dermaßen an die Barrieren meiner Behinderung.
Und ja, ich bin es nicht gewohnt, so rum eiern zu müssen. Nicht dass ich immer bei den besten und ersten sein muss, aber den Platz, auf den mich Corona in manchen, vor allem beruflichen Situationen verweist, verzeih die Arroganz, ist meiner nicht würdig. Du verstehst schon, was ich und wie ich es meine.
Ich hatte jetzt immerhin im April und Mai zwei Workshops zu Astronomie mit Kindern und deren Eltern online. Das hat gut funktioniert. Ich hielt den Vortrag und beantwortete die Kinderfragen und ein sehender Astronom spielte Fotos etc. in die Videokonferenz ein oder hielt Modelle in die Kamera.
Wir haben uns da vorher abgesprochen.
Betrüblich ist daran nur, dass ich mit diesem Angebot sicherlich nur Kinder von Bildungsbürgern erreiche und nicht die, die es so nötig hätten.
Daran kann ich aber leider nichts ändern. Die Welt ist, wie sie ist, manchmal ungerecht, und leider nicht so, wie wir sie gerne hätten.
Mir fehlt auch Sport und alles.
Ich merke auch, dass meine Fertigkeiten in Orientierung und Mobilität abnehmen und dass meine Ängstlichkeit größer wird, weil ich so selten raus komme. Nach dieser Krise werde ich ein anderer Mensch sein. Ich bin nicht sicher, ob die Rückkehr ins normale Leben ohne Therapie oder eventuelle Unterstützung von Seiten der Mobilitätstrainer stattfinden kann. Die werden aber dann auch völlig überlastet sein.
Naja, ansonsten behalte ich meinen Rhythmus schon bei und kriege die wesentlichen Dinge geregelt. Es wird halt alles immer mühsamer. Ich habe Angst, in eine Depression zu fallen. Das wollte ich eigentlich nie mehr erleben müssen. Das hatte ich schon über Jahre, wie Du vielleicht noch weißt.

Eine Bekannte, die beruflich coachings anbietet, bietet wöchentliche Krisengespräche online an. Davon mache ich Gebrauch. Das tut sehr gut.
Außerdem hält meine Psychotherapeutin mit mir ab nächster Woche Video-Sitzungen ab. Normalerweise hasse ich Video-Sitzungen, weil einem da jeder über die Kamera in die Wohnung, in den eigenen Saustall glotzt, und ich das bei anderen nicht kann, aber ich denke, dass für meine Therapeutin der Sichtkontakt auf mich, mein Verhalten und meinen Gestus wichtig ist.
Ich könnte mein Antidepressivum unter ärztlicher Kontrolle wieder hoch fahren, aber das will ich wirklich nur dann tun, wenn die innere Unruhe uferlos wird, weil ich die Nebenwirkungen scheue.
Es wird halt ab dem Zeitpunkt  bedenklich, wo einem nicht mal mehr die Dinge Freude machen, an denen man ansonsten Spaß hat.
Das ist bei mir noch nicht der Fall, ich komme dem aber näher.

Ab Montag, Mitte April, startet unser Sommersemester online. Ich bin gespannt, was das wird. Es kann sein, dass ich da mit unseren Studierenden viel zu tun bekommen werde, weil eben am Anfang erst mal nichts geht…

Naja, aber gerade diese Umstellung auf Online-Lehre bitet auch viel positives Potential.
Ich glaube schon, dass diese Online-Umstellungen gerade auch für unsere Studierenden eine Chance sein können, wenn die Angebote gut gemacht werden. Das wird in diesem Semester sicherlich noch nicht so sein, weil vieles mit heißer Nadel gestrickt sein wird. Das bedeutet dann für uns meist unüberwindbare Barrieren.

Sicherlich werde ich für diese Dinge ein Schulungskonzept für unsere Studierenden entwickeln, dazu muss ich die Werkzeuge für Online-Vorlesungen wie Teams, Zoom Skype und wie sie alle heißen, aber erst mal selbst beherrschen.
Die Frage ist, wer mich das lehren soll und kann.
Also bei Teams z. B. nutze ich mittlerweile nur noch die Iphone-App, weil die übersichtlicher ist.
Es wäre nicht auszudenken, wenn mich vor allem jetzt in der Krise ausgerechnet dieses Gerät verlassen würde.

Stell Dir mal vor, die Krise wäre in unserer Kindheit ausgebrochen.
Bei mir daheim hätte das Mord und Totschlag gegeben.
Außerdem hatte ich ja alle meine Freunde im Internat und nicht daheim. Von Telefon und Internet natürlich keine Rede.
Daheim war ich als Kind immer ein Fremder, weil ich nie da war. „Le métèque“

Die Lockerungen

Mittlerweile fühlte ich mich schon sehr gefangen in meiner Wohnung. Ich langweilte mich, wahr beruflich unterfordert, hatte kaum soziale Kontakte und fühlte mich sehr einsam und verblüht. Da freute ich mich auf die Lockerungen. Einfach mal wieder ins Büro fahren, wenn sich auch die anderen Mitarbeitenden noch zögerlich verhielten. Wir waren in Grunde nie wirklich richtig aus dem Homeoffice draußen bis der zweite Lockdown kam, mit all seinen Vor und Nachteilen…

Ich schrieb an einen Freund:

Heute bin ich mal wieder, natürlich unter der Maske, ins Büro gefahren. Ich konnte mir dort einen Arbeitsplatz zusammen stöpseln, so dass ich im Büro und daheim quasi gleichwertig arbeiten kann, sofern ich keine Punktschriftausdrucke erzeugen, oder was vom Labor brauche.
Ohne diese soziale Isolation könnte ich mich mit dieser Konfiguration direkt an eine Kombi zwischen Homeoffice und Büro gewöhnen.
Auf jeden Fall tut es gerade unheimlich gut, mal wieder draußen zu sein.
Es tut auch gut, Deinen Ärger mal zu erleben und wie Du ihm freien Lauf lässt. Ich verlange nicht, dass ein Land ohne Probleme mit so einer Situation fertig wird. So was kann man nicht vorher einplanen. Allerdings zeigt es uns deutlich, wie gefühlte fünfzig Jahre rückwärts gewandte Politik sich nun auswirken. Corona ist wie ein Vergrößerungsglas, wo durch wir jetzt sehen, was auch vorher schon im argen lag.

Die Religion des wildgewordenen Kapitalismus und Neoliberalismus hat kläglich versagt. Alles, aber auch wirklich alles, was wir Friedensbewegler schon Anfang der Achtziger Jahre sagten, tritt nun ein.
Und auf eine machtlose Konstruktion, wie die EU es ist, können wir wirklich scheißen, wenn zu Beginn der Krise einfach jedes Land unkoordiniert die Grenzen für lebenswichtige Wahren schließt und wenn der lupenreine Diktator von Ungarn mehr EU-Gelder erhält, als Italien in seiner großen Not…
Hach, man könnte sich am Stück aufregen und abkotzen.
Das ist eben der Vorteil an der Astronomie: „Sterne lügen nicht; sie schweigen.“

Ja, es ist momentan nicht ganz einfach, aber wenn ich jetzt, sagen wir ein zwei mal die Woche als Abwechslung ins Büro kann, dann geht es mir glaube ich schon viel besser.
Es tat heute richtig gut, mal wieder meine ganzen Modelle zu streicheln, die Planeten, die ISS, die Mondkarte und die Apollo.
Ich bete diese Dinge nicht an, aber sie fehlen mir sehr, wenn ich sie nicht spüren kann.
Schon die Gewissheit, dass meine Modelle mit im selben Raum sind, tut gut. Das geht mir übrigens mit meinen Gitarren ähnlich. Ich habe irgendwie überall in meinem Umfeld Gitarren. Bei meinem Freund steht eine, im Büro zwei, in Stuttgart auch eine und daheim sind auch noch so fünf sechse.
Das erspart viel Schlepperei.

Was mich allerdings, und das gilt jetzt nicht für Dich, etwas traurig macht ist, dass selbst jetzt in der Krise meine Arbeit in den sozialen Netzwerken nicht sichtbar gewürdigt wird. Ich teile, like und kommentiere jetzt vor allem Projekte, die wirklich wichtige Arbeit machen.
Das würde ich mir für meinen Blog auch wünschen.
Aber wer weiß. Vielleicht lesen ihn ja doch viele heimlich.
Diejenigen mit den vielen Likes sind meistens Mainstream und kaufen sich diese Likes vielleicht sogar.
Ich bin Stolz darauf, nicht Meinstream, nicht zeitgemäß und schon gar nicht zeitkonform zu sein.

OK, gelockert war jetzt vieles gutes. Man traf sich langsam wieder und das Leben nahm wieder Fahrt auf. Das galt allerdings nicht für uns menschen mit Blindheit.
bis auf die Schreibblockade, die eine blinde Bloggerin beschreibt, erlebte auch ich die Krise so, wie sie es sehr lesenswert und treffend formuliert hat.
Schlimmer noch. Ich habe keine sehenden Kinder, und keine sehende Partnerin,wie sie, die ich mit dem Auto einkaufen schicken kann.
Ich werde asozial beschimpft, wenn ich mal einen Abstand nicht einhalten kann.
Selbst der Gang zum Bäcker ist durch die Lockerungen zum Überlebenstraining geworden.
Nichts, aber auch gar nichts geht mehr selbstständig außerhalb der eigenen Wohnung.
Als alle im Lockdown waren, war das für alle klar, dass man sich hilft. Jetzt ist nichts mehr klar.
Trotz allem komme ich mit meinem Tonstudio, meiner Astronomie, meinen Gitarren und allem ganz gut durch.
Aber wir als Gesellschaft müssen uns schon langsam Gedanken darüber machen, wie menschenunwürdig ehemals selbstständige Menschen mit Einschränkung momentan leben müssen. Und ich jammere hier absolut auf sehr, sehr, sehr hohem Niveau.
Wie auch immer. Ich finde den Artikel sehr gut. Er zieht mich nicht runter. Ganz im Gegenteil. Es tut gut, von anderen zu lesen, wie sie das ganze erleben.
Hier findet ihr den erwähnten Artikel.

Und nun nahten die Sommerferien.

Wie immer wird die Zeit genutzt, um wichtige Ausbesserungen etc. am Schinennetz der Straßenbahnen vorzunehmen. Nicht zuletzt befindet sich Karlsruhe derzeit noch immer im Bann des Baues der kleinsten U-Bahn der Welt…
Ich informierte mich im Netz und begriff, dass ich in unfreiwilligem zweiten Lockdown sein würde für sieben Wochen.

Ich schrieb dazu an die Schwerbehindertenvertretung meines Arbeitgebers:

die geplanten Linienänderungen des KVV für die Sommerferien machen mir Angst. Ich bin in Rheinstetten quasi abgeschnitten. Es gibt eine Buslinie 14, aber das ist für uns in Corona-Zeiten wirklich schwierig. Man muss hinten einsteigen und kann den Fahrer nicht nach der Linie fragen. Wegen des Abstandes und der Maskenpflicht kommunizieren die Leute nicht mehr. Oft bekomme ich keine Antwort, wenn ich was frage oder Personen werden asozial und übergriffig, wenn ich versehentlich einen Abstand unterschreite. Ja, es ist schon so, dass die Lockerungen für uns Blinde manchmal die Hölle sind.

Kurz um. Vom 01.08. – 24.08. bin ich in Urlaub. Aber danach habe ich keine Ahnung, wie ich auch mal ins Büro kommen soll. Es müsste ja nicht jeden Tag sein. Wir machen alle noch Homeoffice, aber so zwei mal die Woche würde ich schon auch gerne mal ins Büro fahren. Haben Sie eine Idee, wie ich das lösen könnte, ohne um 120 Euro Taxi pro Woche ausgeben zu müssen?
Könnte das die KVV irgendwie unterstützen?

Niemand hat sich meiner Sache angenommen. Man hat es ausgesessen. Ich hatte vor meinem Urlaub nicht mehr die Kraft für irgend etwas zu kämpfen. Wäre dieser Urlaub nicht in Aussicht gestanden, hätte ich mich vielleicht sogar zum Selbstschutz in eine Klinik begeben müssen.
Gerade jetzt war es für mich ganz wichtig, mich mal wieder in mein Refugium mit blinden Menschen zurück zu ziehen.
In diesem Zusammenhang darf ich auf meinen Artikel Urlaub von der Welt der Sehenden aufmerksam machen.

Im Nachhinein

Baustellentechnisch liegt eine extrem harte Zeit hinter mir, wie ich das in 20 Jahren Rheinstetten noch nie erlebt habe. Ich war quasi völlig im Zwangs-Lockdown, komplett abgeschnitten. Die Ersatzhaltestelle für den Bus war für blinde Menschen nicht auffindbar. Dazu hätte es einiges an Training bedurft. Außerdem wäre es vom Lärm der Baustellen her kaum zu schaffen gewesen. Da man nicht vorne in Busse einsteigen darf, hätte ich auch den Fahrer nicht nach der Linie fragen können. Sicher wäre ich auch wieder einigen sehr diskriminierenden Situationen ausgesetzt gewesen, wenn ich z. B. den Abstand nicht einhalte, weil ich es nicht sehen kann. Ihr glaubt ja gar nicht, was man da sich manchmal anhören muss. Von verbalen Beschimpfungen, die an das Nazi-Regime erinnern, bis hin zu Übergriffigkeiten, dass man z. einfach mal weg geschoben wird, ist alles dabei.

OK, zwei der sieben Baustellen-Wochen war ich in Österreich in Urlaub.
Diesen habe ich dann spontan auf vier Wochen verlängern können, um dieser Situation zu entfliehen. Außerdem war an meinem Urlaubsort, einem Haus für Blinde in Österreich für mich gesorgt. Sogar Homeoffice konnte ich dort ohne Probleme machen. Somit blieben mir nur noch zwei Wochen, die ich überstehen musste, was mir auch gelungen ist. Hätte ich niemanden mit Auto gefunden, dann hätte ich nicht mal zum Rudern gehen können.
Ich kann gar nicht genug Dankbarkeit dafür empfinden, dass ich mir mit meinem Job so eine spontane Verlängerung leisten konnte und schließlich habe ich ja auch noch das Blindengeld. Das ist gerade in diesen Zeiten ein unverzichtbarer Partner…

Also wenn ich an die ganzen alten Menschen hier z. B. im Rösselsbrünnle-Altenheim denke, dann muss ich sagen, dass man in diesen Ferien den Bogen mit den Baustellen deutlich überspannt hat. In der Stadt war es ja auch nicht besser.
Ich dachte schon daran, die BNN in dieser Sache einzuschalten.
Mir lag aber vor allem vor dem Urlaub nichts an Kampf. Ich war am Ende und wollte einfach nur nach Österreich. Ich hatte keine Kraft mehr für gar nichts.
Nun ja, außen herum ist noch immer alles Baustelle bei uns, aber die Bahn fährt. Einkaufen geht deshalb momentan nur mit Assistenz oder online.

Ich kann euch sagen, dass ich keine Sekunde dieser vier Wochen und keinen Euro bereue. Noch nie war ich vor einem Urlaub so ausgebrannt, weil mir soziale Kontakte so sehr fehlten. Ich war auch ausgehungert nach gemeinsamen Musizieren und nach astronomischer Rampensau. Drei Singabende mit Lagerfeuer und drei astronomische Vorträge konnte ich in diesem Urlaub halten. Schon klar. Wir Blinden konnten natürlich den Mindestabstand nicht immer einhalten. Das geht unter blinden Menschen einfach nicht. Wie auch immer. Es war großartig. Ich bin sogar Segelfliegen und Gleitschirmfliegen gewesen.

Und es reißt nicht ab:

Wir haben es mittlerweile Anfang Oktober.
Ja, und wieder ist eine Urlaubswoche ausgefallen.
Zuerst eine Osterwoche in Österreich, dann eine Chorfreizeit und jetzt meine Herbst-Astro-Woche, wo ich immer zu verschiedenen Sternwarten fahre, um dort barrierefreie Angebote zu planen und zu beraten.
Eine christliche Freizeit, des EBSB, EBSBW und des EBS Rheinlandpfalz, die am Wochenende hätte stattfinden sollen, und die ich mit leiten sollte, ist auch abgesagt worden.
Gerade jetzt wäre eine solche Freizeit zum gemeinsamen Austausch und Trost für viele sehr wichtig.
Von meinen vielen ausgefallenen Vorträgen und Workshops ganz zu schweigen. Ganz viele Schulen etc. habe ich verloren. Nach der Pandemie kann ich mit meinen Netzwerken, die ich mir über Jahre aufgebaut habe, ganz von vorne anfangen. Jetzt, wo ich das Alter hätte, dass es mir langsam mit den Früchten meiner Arbeit gut geht, verliere ich wieder alles. Es ist bissel wie bei Hiob.
Und ich jammere hier noch auf sehr hohem Niveau. Trotz allem habe ich es ja noch gut.
Es ist schon biblisch bemerkenswert, wenn gerade durch die Pandemie Menschen wie ich ausgebremst werden, die den anderen Menschen so viel zu geben hätten.

Vor allem, wenn ich an die ausgefallene Chorfreizeit über Pfingsten denke, tut mir das Herz weh. Auf dieser Freizeit sind einige Menschen mit mehrfacher Behinderung. Diese Chorfreizeit sind quasi die einzigen vier Tage im Jahr, wo sie mal aus ihrem Wohnheim und Werkstatt heraus kommen.
Vor diesem Hintergrund gehe ich jetzt den zweiten Lockdown mit mehr Gelassenheit an. Demutsvoll denke ich, dass es mir ja noch gut geht bei all dem…
Ich wünsche euch, dass ihr gesund bleibt und gut durch diese schweren Zeiten kommt
Euer Blindnerd, der gegen die Dunkelheit anschreibt.