Planeten mit Migrationshintergrund

Herzenssache, bevor es mit dem Thema los geht

Hier zwei Dinge, die mir absolut am Herzen liegen. Dafür muss zu aller Astronomie wirklich Zeit sein.

  1. Eine Begleiterscheinung vieler Kriege, Hungersnöten und anderer Katastrophen sind Menschen, die von irgendwo nach woanders fliehen müssen. Sie versuchen neuen Fuß zu fassen und zu migrieren.
    Wir wissen alle, dass das nun innerhalb von Europa leider stattfindet. Ohne näher auf diese Misere eingehen zu wollen, möchte ich anmerken, dass jeder von uns etwas tun kann. Mit dem Gedanken, nichts ändern zu können in Lethargie zu verfallen, ist niemandem geholfen. Bitte überlegt euch, womit ihr euren Beitrag leisten könnt, um jenen fliehenden Menschen oder denen, die im Kriegsgebiet verharren müssen zu helfen. Welche Möglichkeiten es hier gibt, findet ihr leicht im Netz und in sonstigen Medien. Jede Hilfe zählt. Es muss nicht gleich eine Wohnung sein, die man zufällig gerade übrig hat…
  2. Ein weiteres Anligen ist mir noch folgendes
    Alle wissen, dass ab Sonntag mehr oder weniger fast alle Corona-Regeln aufgehoben werden sollen. Manche Bundesländer, z. B. Baden-Württemberg rudern aber schon wieder etwas zurück, indem Teile der Maskenpflicht erhalten bleiben sollen.
    Ich für meinen Teil werde die Masken genau so konsequent tragen, wie in den letzten beiden Jahren. Ich muss nicht alles tun, was theoretisch wieder erlaubt wäre. Gerade wir Menschen mit Sehbeinträchtigung sollten uns überlegen, ob es ob der Tatsache, die Abstände richtig einhalten zu können, vernünftig ist, künftig überall, wo man darf, auf die Maske verzichten zu wollen. Das aber nur als Anmerkung. Jeder von uns muss das selbst verantworten und für sich entscheiden.
    Auf jeden Fall: Lasst euch bitte impfen, sofern noch nicht geschehen.

Vielen Dank für euer Verständnis dieser Anmerkungen.
Aber nun zum Thema der Himmelskörper mit Migrationshintergrund.

Was ist gemeint

Alles im Weltall bewegt sich irgendwie. Himmelskörper stoßen zusammen, Galaxien fliehen voneinander oder bewegen sich aufeinander zu. Alle Galaxien bewegen sich merkwürdigerweiße auf einen Punkt, den großen Attraktor zu, und, und, und.

Zum Anfang, als unser Sonnensystem vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, gab es in unserem Sonnensystem etwas, das man die Migration von Planeten nennt. Kurz gesagt, waren die Planeten nicht immer von innen nach außen so aufgereiht, wie sie es heute sind.
Mit Migration ist daher gemeint, dass Planeten durchaus erheblich ihre Bahnen im Laufe der Zeit ändern können.

Lasst uns von dem guten alten Merksatz ausgehen, der Eselsbrücke für die Reihenfolge der Planeten:

Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten.

Seit Pluto kein Planet mehr ist, ich schrieb darüber in Der Planet, der keiner mehr sein darf, lautet der Satz:

Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unseren Nachthimmel.

Nun ist es aber so, dass die alte Version dieses Satzes nicht nur seit 2006 seine Gültigkeit verlor, sondern heute weiß man, dass er nach der Entstehung unseres Sonnensystems nicht die heutige Reihenfolge der Planeten beschrieb, und das nicht deshalb, weil man die Planeten um- oder anders benannt hätte, war ja noch niemand da, der Namen hätte geben können, sondern tatsächlich deshalb, weil sich manche Planeten auf anderen Bahnen befanden als heute. Sie sind woanders hin migriert.

Besonders die vier letzten Planeten, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, befanden sich sehr wahrscheinlich auf anderen Bahnen in einer anderen Reihenfolge. Modelle besagen, dass sie ihre jetzigen Bahnen erst ungefähr nach siebenhundert Millionen von Jahren nach Entstehung der Sonne eingenommen haben. Wie das kam, ist eine sehr spannende Geschichte, die mit der Entstehung unseres Sonnensystems beginnt.

Exkurs über Sternen- und Planetenentstehung

Ein Stern entsteht, indem eine große Wolke aus Gas und Staub unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabiert. Ist die Materie, Wasserstoff, im inneren dieses Protosterns derart verdichtet, dass die Temperatur auf etwa zehn Millionen Grad ansteigt, dann beginnt Wasserstoff zu Helium zu verschmelzen. Der Stern ist gestartet. Darüber werden wir in späteren Artikeln zu unserer Sonne noch genauer berichten.

Das übrige Material der Gas- und Staubwolke sammelt sich nun wegen seiner Rotation allmählich als protoplanetare Scheibe um den neuen Stern herum. Nun hat man also außen in einer Ebene eine Scheibe aus Staub und Gas, in deren Inneren der neue Stern sitzt, der entweder noch ein Protostern ist, bzw. sich schon langsam anschickt, sein Fusionskraftwerk zu zünden.
Mikro kleine Staubpartikel stoßen nun durch die Bewegung der Scheibe aneinander und verbacken und verkleben zu größeren „Bröckchen“. Sie halten entweder durch Ladung oder sonstige chemischen Prozesse zusammen. Dieses setzt sich nun mit den größeren Teilchenverbünden fort, die nun etwa zentimetergroß sind und mit der Gaswolke mit schwimmen.

Diese Teilchen stoßen nun ihrerseits wieder zusammen und verbinden sich zu größeren Körpern.
Ab einer Größe von etwa 10 m, entkoppeln diese Körper vom Gas der Wolke und besitzen nun derart viel Gravitation, und Trägheit dass sie sich selbstständig auf Kepler-Umlaufbahnenum den Stern bewegen können.

Desto weiter außen die Brocken sich befinden, desto langsamer bewegen sie sich um ihren Stern. Und nun nimmt die „Heimliche Herrscherin“, die Gravitation die Sache in die Hand. Diese Planetesimale können mit ihrer Schwerkraft nun wieder kleine Partikel an sich binden und noch wachsen. Als Planetesimale bezeichnet man diese Brocken ab etwa einer Größe von einem Kilometer Durchmesser. Diese stoßen nun ihrerseits zusammen und bilden Planeten aus Eis und Staub.

Somit räumen die massereicheren Brocken langsam in der Scheibe auf, ziehen die kleineren zu sich und bilden dann quasi einen „leeren“ streifen ohne Brocken. Mit dem verbleibenden Gas verhält es sich anders. Planeten mit weniger als ungefähr zehn Erdmassen haben eine zu geringe Gravitation, um das verbliebene Gas der Wolke an sich zu binden. Das dem so ist, können wir im Alltag erleben. Unsere mit Helium gefüllten Ballons würden nicht in die Höhe steigen, könnte die Erde mit ihrer Gravitation das Helium festhalten. Somit gibt es in unserer Atmosphäre quasi kein Helium, und den leichteren Wasserstoff auch höchstens in Spuren chemischer Reaktionen hier auf Erden. Die anderen Bestandteile unserer Atmosphäre sind deutlich schwerer als Helium und Wasserstoff. Deshalb kann diese unsere Erde festhalten.

Die Entwicklung derartiger Stein- und Eisplaneten ist somit erst mal abgeschlossen. Ob sich nachher Leben darauf bildet, ob sie Vulkanismus besitzen werden oder sonst was, spielt sich danach auf ihrer Oberfläche ab und hat im wesentlichen nichts mehr mit ihrer Entstehungsgeschichte, man könnte es auch Geburt nennen, zu tun.

Schwerere Planeten, also mehr als 10 Erdmassen können aber im Laufe der Zeit ob ihrer Gravitation bis zu einem vielfachen ihres eigenen Gewichtes Gas aus der verbliebenen Scheibe dauerhaft an sich binden. Auf diese Weise entstehen riesige Gasplaneten, die alle einen festen Kern besitzen. Beim größten Planeten des Sonnensystems, dem Jupiter entfallen etwa 95 % seiner Masse auf seine riesige Gashülle, bestehend aus Wasserstoff und Helium.

Nahm vorher die Dichte des Gases der Scheibe von innen nach außen ab, so ist sie nun dort, wo die Planeten ihre Bahnen ziehen stark ausgedünnt, vielleicht sogar leer. Außerdem befinden sich neben und um die Planeten herum noch diejenigen Brocken, die bisher noch nicht eingefangen wurden, bzw zu klein waren, um es zu erwachsenen Planeten geschafft zu haben. Das sind dann vor allem Asteroiden und Kometen. Nach zehn bis zwanzig Millionen Jahren ist nun das Gas der Scheibe aufgebraucht. Entweder es befindet sich in den Gasplaneten, oder es wurde vom Sternwind in den Raum gepustet. Es gibt auch noch andere Mechanismen, wie das Gas verloren gehen kann. Alle Phänomene der Planetenentstehung können aber so noch nicht erklärt werden.

Modellierungsprobleme

Somit wurden zunächst Modelle entwickelt, die die Masse und Elementverteilung im Sonnensystem oder sonstigen prä sstelaren Gaswolken zu erklären versuchen. Dabei geht man z. B. vom heutigen Zustand des Sonnensystems aus, und versucht mit all diesen Parametern so zu rechnen, damit man über Simulationen das Sonnensystem erhält, wie es damals gewesen sein könnte. Derartige Modelle setzen natürlich voraus, dass die Naturgesetze damals vor 4,5 Milliarden Jahren schon dieselben waren, wie wir sie heute kennen. Bisher spricht nichts dagegen. Das Universum bestand somit auch damals nicht aus einer Harry-Potter-Insel, auf welcher andere Gesetze gegolten haben.

Probleme bereiten aber bei diesen Modellen u. A. die Entstehung der Planeten Uranus und Neptun. Obwohl ihre festen Kerne größer als zehn Erdmassen sind, konnten sie so viel Wasserstoff und Helium an sich binden, das mindestens einer Erdmasse entspricht. Nach den Modellen können die beiden Planeten nicht so weit draußen entstanden sein, wo sie sich momentan befinden. Die Dichte der Gasscheibe wäre zu gering, damit die beiden überhaupt genügend Gas hätten ansammeln können. Selbst Jupiter, der deutlich näher an der Sonne ist, hätte auf dieser Bahn zu lange gebraucht, um zu dem zu werden, was er heute ist. Kurz um. Die Planeten können nicht dort entstanden sein, wo sie sich heute befinden. Die Planeten müssen viel näher an der Sonne herangewachsen sein. Dort, wo die Dichte der Gasscheibe deutlich höher war, und sie mehr Gas hätten einsammeln können. Danach muss es dann eine Umordnung der Planeten gegeben haben, Migration eben.

Das Nizza-Modell

2005 haben Wissenschaftler anhand des sog. Nizza-Modells versucht zu erklären, welche Ordnung das Sonnensystem früher hatte, und wie es sich zur heutigen Anordnung umsortiert hat. Ja, Astronomen machen manchmal schöne Dienstreisen. Außer dem Modell, dürften sie es auch sonst in Nizza schön gehabt haben.
Das Nizza-Modell nimmt an, dass die vier Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun ursprünglich auf nahezu kreisförmigen, kompakten Bahnorbits liefen. Außerdem geht es davon aus, dass bei der Planetenentstehung eine Scheibe von Planetesimalen entstand, die von außerhalb der Planetenorbits bis hinaus zu einer Entfernung von 35 AU (1 AU = Abstand Erde-sonne =150 Mio Kilometer))
reichte und eine Gesamtmasse von etwa 35 Erdmassen hatte.
Die Riesenplaneten des Sonnensystems streuten nun zunächst vereinzelt Planetesimale aus der Scheibe, indem sie diese Brocken durch ihre Schwerkraft heraus warfen.
Dabei wurde Drehimpuls übertragen, und die Bahnen der Planeten änderten sich leicht. Mit numerischen Simulationen kann gezeigt werden, dass dadurch Saturn, Uranus und Neptun langsam nach außen wanderten und Jupiter nach innen.
Nach ein paar hundert Millionen Jahren (500–800 Mio. nach Entstehung der Sonne) kam es zu einer 2:1-Resonanz zwischen Jupiter und Saturn. Das bedeutet, dass der innere der beiden die Sonne in der Zeit zweimal umrundet, die der äußere für einen Umlauf benötigt. Dadurch störten sich die beiden gravitativ derart, dass sich die Sache aufschaukelte.

Dadurch stiegen die Exzentrizitäten, und das System destabilisierte sich.
Die Exzentrität ist ein Maß dafür, wie stark die elliptische bahn von einer normalen Kreisbahn abweicht.

Die Planeten Saturn, Uranus und Neptun kamen einander und der Scheibe aus Planetesimalen nahe. Dadurch wurden die Planetesimale praktisch schlagartig zerstreut, ein Teil der Planetesimale flog in das innere Planetensystem und löste dort das Große Bombardement aus. Davon zeugen die Krater der Planeten Merkur, Venus und Mars. Auch die Erde besitzt derartige Krater, z. B. das Nördlinger Ries oder den Chicxulub-Krater, dessen Einschlag die Klima-Katastrophe ausgelöst haben soll, die für das Ende der Dinosaurier verantwortlich zeichnet.
In etwa 50 Prozent der simulierten Modelle kommt es dabei auch zu einem Platzwechsel zwischen den zwei äußersten Gasplaneten Uranus und Neptun
Nach etwa hundert Millionen Jahren erreichten die Planeten schließlich ihre heutigen Entfernungen, ihre Exzentrizitäten wurden gedämpft und das System stabilisierte sich wieder.
Neben den Positionen, Exzentrizitäten und Inklinationen der Riesenplaneten und dem großen Bombardement erklärt das Modell noch eine Reihe weitere Eigenschaften des heutigen Sonnensystems . So kann man beispielsweise die Bahnen und Herkunft von Monden erklären.
Unter Inklination versteht man den Winkel, in welchem die Planetenbahn zur Ekliptik gekippt ist.
Auch der Kuipergürtel wird mit diesem Modell plausibel. Er beschert uns immer wieder Kometen und befindet sich jenseits der Neptun-Bahn. Er enthält u. A. den Rest, der bei der Entstehung des Sonnensystems in keine Planeten eingebaut wurde.

Weitere Erklärungen des Modells waren spontan auf den ersten Blick auch für mich nicht ganz verständlich, weshalb ich hier mal darauf verzichte. Ist eh schon wieder zu lang geworden.

Auf jeden Fall wisst ihr jetzt, was Migration im All bedeutet. Und denkt doch bitte an meine Herzenssachen zum Anfang des Artikels.

Die Frau mit dem Sonnenstoff – Weltfrauentag 2022


Seid herzlich gegrüßt,

Heute ist der 08.03., Welt-Frauentag. Was liegt näher, so einen Tag zu begehen, als dass ich mir Gedanken über große Frauen in Astronomie und Wissenschaft mache. Das seid ihr ja von mir gewöhnt, dass an jedem 08.03. eine Wissenschaftlerin gewürdigt wird.

Bis heute sind Frauen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen leider noch immer unterrepräsentiert. Die Statistiken sprechen hier eine sehr deutliche Sprache. Trotz Frauenbewegung, Emanzipation, Erziehungsurlaub auch für Männer, gesetzliche Gleichberechtigung und dafür aufgeschlossene Männern, ist es noch nicht gelungen, diesen Missstand in den Griff zu bekommen.

Dennoch hat es immer wieder Frauen gegeben, die trotz Benachteiligung, Unterdrückung, Bildungsverbot und Leben in einer streng patriarchaisch dominierten Gesellschaft, großartiges in Wissenschaft, z. B. der Astronomie, geleistet haben. Sie setzten sich in einer harten Männerwelt durch und waren vielleicht sogar öfter, als man denkt, die schlaueren Köpfe. Zumindest zeugen einige Dokumente davon, dass viele starke kluge Frauen die Fäden ihrer Professoren-Männer in Händen hielten…

Bis in biblische Zeiten hinein, kann man diese Phänomene beobachten. Somit scheint der Satz „Der Mann kann noch so viele Dinge bauen – Es steht und fällt ein Volk mit seinen Frauen“ mehr Wahrheitsgehalt zu haben, als manchen lieb ist.

So lasst uns den Weltfrauentag 2022 damit begehen, indem wir die Person und das Lebenswerk von Cecilia Payne würdigen. Sie fand heraus, woraus unsere Sterne hauptsächlich bestehen, aus Wasserstoff. Das war in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts durchaus noch nicht bekannt. Man stellte sich vor, dass z. B. unsere Sonne ganz ähnlich aufgebaut sei, wie unsere Erde.
Heute werde ich euch allerdings keinen ausschweifend langen Artikel schreiben, denn ich habe etwas besseres und sehr hörenswertes für euch.
Anfang Januar strahlte SWR2-Wissen eine Folge über diese großartige Astronomin aus. In dieser Sendung ist sogar ihre Stimme zu hören.
Aus diesem Grunde belasse ich es heute mit vielen Worten, und schicke euch gleich auf die Seite, wo ihr die Sendung entweder direkt anhören, bzw. sowohl die Audio-Datei, als auch das Skript zur Sendung herunterladen könnt. Das kann ich euch an dieser Stelle nicht ersparen, dass ihr auf die Seiten des SWR müsst, weil ich das Audio aus Gründen des Urheberrechts nicht direkt auf dem Blog veröffentlichen darf.
Lehnt euch also zurück und hört euch diese äußerst spannende und wissenswerte Sendung an.
Wer Probleme mit der Bedienung der Seiten des SWR hat, darf sich z. B. über das Kontaktformular gerne an mich wenden. Wir finden einen Weg.

Zur Sendung geht es hier lang.

Der Blindnerd und die Friedensbewegung


Seid herzlich gegrüßt,

Vorbemerkungen

Meine lieben,

das hier ist kein politischer Blog. Es ist zu den aktuellen Ereignissen alles von vielen gesagt. Wir erleben Dinge, die sich nicht in Worte fassen lassen.,
Ich bin natürlich betroffen. Allerdings kenne ich mich in diesem Konflikt und dessen Historie viel zu wenig aus, um hier qualifiziert mitreden zu können.
Dennoch möchte ich mich an dem Geschehen in so fern beteiligen, dass ich über eine Zeit berichte, die viele Parallelen zur Gegenwart in sich birgt. Eine Zeit, in welcher wir ebenfalls einem Atomkrieg recht nahe waren, möglicherweise sogar näher als heute,
einer Zeit, in welcher es mir wirklich gut ging, vermutlich die Zeit meines Lebens, in welcher ich am meisten inkludiert, gebraucht und akzeptiert wurde.
Es geht um die Zeit so zwischen 1982 und 1992, zehn Jahre also.
Es geht um die Zeit, in welcher ich mich immer wieder in die Friedensbewegung einbrachte.

Ich weiß, dass dieser Artikel etwas überlang ist, aber das muss jetzt einfach sein.

Es kann auch sein, dass ich aus der Erinnerung heraus nicht immer die zeitliche Abfolge einhalten kann. Ist halt alles schon verdammt lang her.

Als letztes merke ich noch an, dass dieser Artikel nicht gegendert ist. Wenn ich Lehrer, Erzieher oder Betreuer schreibe, meine ich immer alle und nicht nur ausschließlich Männer.
Ich finde, dass gendern gerade für uns Menschen mit Blindheit, die mit Bildschirmlesern arbeiten müssen, häufig den Lesefluss auf Punktschriftzeile oder mit Sprachausgabe sehr beeinträchtigt, aber nun zum Thema:

Der Beginn

Wie soll es anders sein, alles begann mit der Liebe zu einem Mädchen, meiner ersten Liebe. Ich kam gerade von einem Klinikaufenthalt zurück, der fast 3/4Jahre in Anspruch nahm. Es gab da irgendwo eine Ausstellung, die wir mit der Blindenschule besuchten. Das Mädchen war dort als Sängerin eingeladen. Sie sang Friedenslieder, z. B. „We Shall overcome“, Hannes Wader, Bettina Wegener und viele andere. Ich kannte viele dieser Lieder schon, weil mein großer Bruder diese Musik hörte, auf Friedensdemos ging etc. Er hatte mich schon angesteckt, zum Leidwesen unserer sehr konservativen Mutter.
Nun sang also dieses Mädchen für den Frieden. Und das mit einer Inbrunst und Kraft, dass es um mich geschehen war. Ich kniete mich tatsächlich vor sie hin, hörte zu und sang auch mit.
Mir war sofort klar, dass ich das auch machen wollte. Ich wollte mit ihr Seite an Seite für den Frieden kämpfen und singen. Ich hatte gerade keine gute Zeit hinter mir. Es gab nicht viele Menschen, die damals an mich glaubten. Ich hatte eine sehr schwierige Jugend, und unsere Familie war auch eher kaputt. Viele Lehrer hatten mich quasi aufgegeben.
Dennoch fasste ich eines Tages meinen Mut und fragte sie, ob wir „zusammen gehen“ wollten. Sie glaubte an mich. Ich weiß noch, dass sie sagte, „Das könne doch nicht alles sein“, was Du bist und was man von Dir hört. Sie sagte „ja“.
Von nun an wollten wir die Welt verbessern. Wir gingen auf die Straße des spießigen Nestes, in welchem unsere Blindenschule stand, und sangen unsere Lieder für Frieden, Freiheit und gegen Ausländerhass. Das wurde nicht überall gerne gesehen. Bisher war es so, dass wir Blinden eher hinter dem Zaun unserer beschaulichen Blindenschule verweilten. Wir kamen nur zusammen mit unseren Erzieherinnen heraus. An politischen Entwicklungen kam trotz Radio nur wenig zu uns herein. Das änderte sich durch die Friedensbewegung erheblich.

Vorbilder

An unserer Blindenschule gab es viele Zivildienstleistende, die die Unterstützung von Menschen mit Behinderung, dem Militärdienst vorzogen. Diese Generation von Zivis war sehr in der Friedensbewegung, bei den gerade neu entstandenen Grünen, bei Amnesty International oder sonst wo engagiert. Einige von ihnen spielten auch Gitarre und kannten all die schönen Lieder. Bei den Lehrern und Erziehern gabes im Grunde zwei Lager. Es gab die alten sehr konservativen Lehrer, die schon auch mal nach alter Tradition die Hand ausrutschen ließen und die uns Blinde unbedingt vor der Sünde der Sexualität zu bewahren suchten. Leider waren die noch in der Überzahl und lenkten die Geschicke in Internat und Schule. Das andere Lager, meist jüngere, entstammte u. A. der 68er-Bewegung. Sie brachten diesen Geist zunächst verhalten in unsere Reihen Und als Sandra und ich viele mit unseren Ideen und Liedern ansteckten loderte ein Feuer und ein Geist auf, den es in diesen Mauern vorher noch nie gegeben hatte.

Und damit nicht genug. Durch diese, meine Verbindung, verbesserte sich meine schulische Leistung derart, dass ich die Klasse, obwohl ich über ein halbes Jahr nicht am Unterricht teilnehmen konnte, als Klassenbester abschloss. Dieser Klinikaufenthalt machte mich so erwachsen, dass ich nach meiner Rückkehr das Gefühl hatte, alle hätten in dieser Zeit keinen Unterricht gehabt.
Es kam nun mehr und mehr vor, dass wir mit unseren Zivis oder den Erziehern der zweiten Gruppe auf Friedenskonzerte gingen, Wir erlebten Joan Baez, Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt life und beteten sie an. Man las uns auch aktuelle Zeitungsartikel, Flugblätter u. Ä. vor. Zu derlei Material hatten wir Blinden damals ob bewusst gewollt, oder wegen der technischen Möglichkeiten, keinerlei Zugriff. Somit bildeten wir uns und entwickelten uns zu richtigen Friedensbeweglern.

Kontakt zu Ausländern

Bald schon fanden wir auch Kontakt zu Ausländern. Ich kannte damals viele Chilenen, Italiener und Türken. Wir gingen in deren Familien ein und aus. Wir erfuhren vieles über deren Kultur, aßen und tranken mit ihnen, und merkten, dass alle Vorurteile, die uns anerzogen wurden, nicht stimmten. Einige z. B. türkische Gastarbeiter-Familien hatten natürlich auch blinde Kinder, die dann an unsere Schule kamen. Im Internat waren die bald bestens inkludiert. In Sport und Freizeit gab es keine Berührungsängste. Ich glaube sogar, dass wir Blinden uns mit derlei leichter tun. Bei uns spielt das Aussehen keine Rolle. Außerdem ist es für uns normal, eine Behinderung zu haben. Das kann auch eine Sprachbarriere sein. Die wurde aber rasch überwunden. Feierten unsere türkischen Mitschüler ihren Ramadan, dann waren deren Koffer angefüllt mit vielerlei türkischen Spezialitäten, die wir vorher so noch nicht kannten. Tagsüber feierten wir den Ramadan zwar nicht mit, in dem wir gefastet hätten, aber sobald die Sonne unten war, wurde eine orientalische Tafel aufgeschlagen, die ihres gleichen suchte.

Wir gewöhnten uns auch an deren Musik. Fand im Keller ein Disco-Abend mit Tanz statt, so war türkische Pop-Musik bald so selbstverständlich, wie die unsere. Es wurde zu allem getanzt.

Anders lief es leider oft im schulischen Bereich ab.
Bis auf wenige Ausnahmen, wurden unsere Gastarbeiter-Kinder viel zu wenig gefördert. Da waren welche dabei, von denen ich sicher sagen kann, dass die heute mit Hochschulabschluss einem gut bezahlten Job hätten nachgehen können, wenn man ihnen denn die Chance gegeben und sie entsprechend unterstützt hätte. Viele von denen landeten später in Werkstätten für Menschen mit Behinderung und verließen die Schule ohne Hauptschulabschluss. Das prangerten wir natürlich an. Oft erhielten wir kräftigen konservativen Gegenwind.

Zensuren und Verbote

Unserer Schulleitung schmeckte es gar nicht, dass ich mittlerweile Schulsprecher war. Unsere Schülerzeitung „Der Friedensbote“ wurde stark zensiert. galt es eine Rede zu halten, musste die vorher komplett geschrieben und vorgelegt werden. Dennoch gelang es mir häufig, in der Rede abzubiegen und plötzlich kamen Worte aus meinem Mund, die überhaupt nicht im Script standen.

Das brachte mir unter den Lehrern Ärger, manchmal Strafarbeiten, aber auch viel Anerkennung und Applaus ein, die zwei Lager eben.
Nun war gerade die Zeit, als man uns die Pershings vor die Nase setzen wollte und Giftgas im Pfälzer Wald gelagert wurde. Und ja, der saure Regen tötete gerade unseren Wald.
Genug themen also, für die es sich zu singen und zu spielen lohnte.

Dazu versammelte ich wer Lust hatte, auf der großen wiese in der großen Pause. Wir sangen und diskutierten. Selbstverständlich hörte niemand von uns, dass die Pause längst zuende war.
Schließlich wurde unsere kleine Friedensdemo vom Lehrkörper aufgelöst.
Alle strömten zurück in ihre Klassenzimmer. Für mich war ein anderer Weg vorgesehen.

Begleitet von einer Lehrerin fand ich mich im Büro des Direktors wieder. Noch nie zuvor war ich in diesem Raum. Ich wusste nicht mal genau, wo dieses Büro lag.
Dieser hatte dann so schöne Attribute wie „Aufrührer“, „Kommunist“ „utopischer Linker“ und noch einiges mehr für mich parat. Für sechs Wochen wurde mir mein Ausgangsschein entzogen. Den bekam man, wenn man ein Mobilitätstraining mit dem Stock absolviert hatte. Je nach Trainingsstand durfte man sich dann außerhalb des Schulgeländes bewegen. Den Ausweis hinterlegte man stets an der Pforte, damit immer klar war, wer noch draußen war.
Das war das höchste Privileg, die höchste Auszeichnung, selbstständig nach draußen zu dürfen. Um so härter war der Entzug dieses Dokumentes als Strafe.
Eingesperrt für sechs Wochen wegen einiger harmloser Friedenslieder und einer überzogenen großen Pause.

Natürlich gab es Stellen, an welchen man locker über den Zaun nach draußen kam, aber das war sehr gefährlich, denn man konnte draußen von einem Lehrer oder Erzieher gesehen werden. Natürlich haben wir das in so mancher Nacht getan, aber im Grunde war es wirklich dumm, denn die darauf folgenden Strafen konnten sogar einige Tage Schulverweis oder noch schlimmeres bedeuten. Das ließ man also besser bleiben. Ich überbrückte diese sechs Wochen Ausgangssperre ganz anders.

Wenn man Mobilitätstraining bekommt, dann gibt einem der Trainer schon mal eine kleine Aufgabe, um zu testen, wie selbstständig man schon war. Mal musste man einen Ort finden, mal etwas einkaufen und manchmal kam auch ein Behördengang dazu. So bei mir. Meine Trainerin schickte mich mal ins Rathaus. Ich sollte für sie ein Dokument beglaubigen lassen. Das kannte ich vorher noch nicht. Als ich dann meinen Ausgangs-Schein bekam, tat ich genau das. Ich ließ einige Kopien anfertigen und diese beglaubigen. Eigentlich wollte ich damit nur das Original-Dokument schonen, indem ich immer eine beglaubigte Kopie vorlegte. Ich weiß noch, dass die Pförtnerin sich sehr darüber freute, dass ich so viel Acht auf meinen Original-Ausweis gab. Das kam mir jetzt gut zu Pass. Ohne zu zögern händigte ich dem Direktor meinen Ausweis aus. Das mit den beglaubigten Kopien rettete mir den Arsch. Es kam nie heraus. Ich sollte auch noch eine Strafarbeit anfertigen, aber das ließ ich bleiben, da ich wusste, dass derlei mit hoher Wahrscheinlichkeit versanden würde. Hätte man mich daran erinnert, dann hätte ich das Teil halt geschrieben, aber da geschah, wie vermutet, nichts mehr.

Körperlich konnte ich in der Schule nie glänzen. Bundesjugendspiele waren der blanke Horror für mich. Materiell stand ich den anderen Kindern immer hinterher, weil wir eben sehr arm waren. Aber mein scharfer Geist und Verstand half mir aus so vielen Miseren heraus. Ich tat Dinge, von denen ausgegangen wurde, das kein blindes Kind derlei tun würde und viel zu brav sei.

Das Vermächtnis

Nun kam die Zeit, dass mein Mädchen auf das Gymnasium nach Marburg wechselte. Mich ließ man dort wegen meiner schwierigen Vergangenheit nicht hin. Geld, uns zu besuchen, hatten wir keines. Anrufen war schwierig und so hatten wir nur Briefe in Punktschrift. Mir war aber immer klar, dass ich Sandras Werk weiter treiben wollte. Das war noch klarer, denn sie verstarb an der Krankheit, die sie erblinden ließ.

Eine Gitarre musste her, aber die Aussicht, eine über die Familie zu bekommen, war zunächst gleich null. Ich fand eine auf dem Sperrmüll. Im Grunde war es ein fürchterliches Instrument, aber man konnte noch Saiten darauf spannen und spielen lernen.
Unterricht hatte ich nie. Ich ließ mir die Griffe von ganz verschiedenen Menschen aus der Friedensbewegung zeigen. Nach sechs Wochen war ich dann so weit, dass ich viele Lieder schon begleiten konnte. Ein Zivildienstleistender lieh mir bald schon seine Gitarre, damit ich etwas besseres unter die Finger bekam.

Und so ging die Friedensarbeit weiter. Ich sang, wurde besser und auf der Gitarre virtuoser und fühlte mich in so vielen Dingen absolut integriert und angenommen. Ob Zeltlager, Lagerfeuer, Gottesdienste oder Friedensveranstaltung. Wenn man singen und gut Gitarre konnte, war man der König und die Blindheit spielte keine Rolle mehr.
Mittlerweile erkannte meine Großmutter, dass es nicht mehr zu ändern war mit mir. Sie sah ein, dass ich jetzt endlich mal eine eigene Gitarre bräuchte. Und so gingen wir eines Nachmittages in unseren kleinen aber gut sortierten Musikladen auf dem Dorf und es wurde eine Gitarre gekauft.

Das war das erste mal, dass ich etwas besaß, womit meine anderen fünf Geschwister nichts anfangen konnten.
Etwas, das nur mir alleine gehörte.
Etwas neues und nicht gebrauchtes oder abgetragenes.
Etwas, womit ich mich ausdrücken konnte.
Da ich auch auf Familienfesten, Weihnachten, Geburtstagen etc. spielte, hielt sich der Neid meiner Geschwister in Grenzen.

Nun begann ich auch langsam meine eigenen Friedenslieder zu schreiben. Schließlich wollte ich Liedermacher werden. Es waren einige ganz nette Liedchen dabei. Mit einem gewann ich sogar mal „Jugend musiziert“. Dafür durfte ich mit meinem Vater als Begleitung nach Berlin fliegen. Das erste mal in einem Flugzeug. Das erste mal wirklich einen Auftritt mit Radio, Fernsehen und Presse. Das alles war für mich so beeindruckend, dass ich fast nichts mehr davon weiß.
Aber an den Applaus nach meinem Friedenslied kann ich mich noch gut erinnern. Er schmeckte vorzüglich. Heute stehe ich eher in Sachen Astronomie auf Bühnen, aber manchmal kommen musikalische Auftritte noch vor.

Friedensarbeit im Unterricht

Ganz viel Friedensarbeit geschah bei uns im Handarbeits-Unterricht. Wir durften unsere Casetten mit unseren Liedermachern abspielen. Wir durften über Philosophie und Politik sprechen, z. B. über das Kommunistische Manifest und mehr. Voraussetzung war nur, dass nebenher die Handarbeit gemacht wurde. Da ich geschickte Hände habe, war das für mich nie ein Problem.

An unserer Schule durfte ich einen ganz hervorragenden Religionsunterricht besuchen. Diese Lehrerin unterhielt mit ihrem Verein ein Haus für Friedensarbeit. Darin veranstaltete sie mehrere Seminare für uns. Hier durften wir die jüdische Religion und deren Kultur kennen lernen. Wir besuchten sogar die Synagoge in Mannheim und konnten auch die jüdischen Lieder mitsingen, die sie uns vorher beigebracht hatte. Wir bauten eine Laubhütte, feierten den Schabat und viele andere jüdischen Feste mit. Somit haben wir dann auch die christliche Religion besser verstanden, weil Jesus auch Jude war. Hieraus ergaben sich ganz wunderbare Kontakte in die jüdische Gemeinde Mannheims hinein. Das war eine wunderbare und sehr inklusive Friedensarbeit.

Diese Lehrerin ermöglichte es mir, den Kirchentag zu besuchen. Auch das war ein großartiges Erlebnis für mich. Mit so vielen Menschen gemeinsam Friedenslieder zu singen, gemeinsam Gottesdienst zu feiern und all die anderen vielen Veranstaltungen dort zu besuchen, war überwältigend für mich.

Der Blindnerd auf Demos

Ich nahm nun auch mehr und mehr an Demos teil. Meistens verliefen diese friedlich, aber einmal wurden wir in Mannheim eingekesselt. Ich stand gerade mit meiner Gitarre und Mundharmonika, wie Bob Dylan, auf einem LKW und sang. Da ging es plötzlich los. An einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich spürte, wie ein Gummiknüppel tut und weiß seither, wie Tränengas schmeckt. Zum Glück retteten mich meine Leute. Heutzutage gehe ich nur noch auf Demos, wenn sie wirklich friedlich sind, z. B. Mahnwachen, oder ich bleibe mit Begleitperson ganz am Rand, damit ich abhauen kann. Das hat nichts mit Feigheit zu tun, aber es wäre äußerst dumm und unvernünftig, würde ich mich als blinder und langsam auch schon älterer Mensch in den Hexenkessel begeben.

Die Kleidung machts

Natürlich trug ich auch eine Jeans-Jacke, die mit allerlei Buttons bestückt war. Von „AKW + Rüstung ne“, „Frieden schaffen ohne Waffen“ und, und, und, war alles dabei. Mein größter Stolz war ein metallener Anstecker, der zwei Hände darstellte, die ein Gewehr zerbrechen. Das war kein Button, sondern so richtig als 3D. Es war damals sehr schwer, diesen Anstecker zu bekommen. Wenn ich doch nur wüsste, wo der hin gekommen ist. Naja, die Jacke gibt es auch längst schon nicht mehr.

Meine Gitarre war natürlich auch mit Aufklebern aus diversen Alternativläden bespickt.
Wenn ich mal z. B. für Besucher bei meiner Großmutter spielte, in dem Fall natürlich Volkslieder, dann zeigten diese oft auf meine Gitarre. Meine Oma sagte dann nur: „So ist er halt politisch eingestellt“. Sie war eine moderne und streitbare Frau. Sie war offen für alles und diskutierte gerne mit mir.
Wenn es ihr zu bunt wurde, drohte sie damit, dass es kein Abendessen geben würde. Das geschah aber nie.

Einmal brachte ich ihr eine Jeans-Tasche und einen „Atomkraft nein danke“-Button. Ich fragte sie, ob sie mir das nach dieser Vorlage, natürlich entsprechend größer, auf diese Tasche sticken würde. Sie tat es ungeachtet des politischen Inhalts und fing nicht mal eine Diskussion dagegen an.
Als die Tasche fertig war, fragte ich meine Oma, ob sie mir auch ein Hakenkreuz darauf gestickt hätte.
Ohne Zögern bejahte sie dieses mit der Begründung, dass das Hakenkreuz schon Jahrtausende alt und nur von den Nazis missbraucht worden sei. Und das sagte sie, obwohl sie den Krieg und das Regime erlebt hatte.

Bevor ich jetzt „endlich“ mal zum Ende komme, hier noch ein Erlebnis ganz besonderer Art.

Frieden und Inklusion in Reinform

Als 1986 das Kernkraftwerk in Tschernobyl explodierte, befand ich mich gerade auf dem kleinen badischen Kirchentag in Bretten. Natürlich verfolgten wir das ganze im Radio etc. Wir überlegten uns, wie wir die neuesten Geschehnisse bei uns am Stand allen zugänglich machen könnten. Wir entschieden uns dafür, die Nachrichten aus dem Radio einfach abzuschreiben und aufzuhängen. Da ich von allen am besten und sichersten Schreibmaschine konnte, das lernt man an der Blindenschule, fiel diese Aufgabe mir zu. Inklusiver geht Friedensarbeit kaum.

Ich könnte hier noch über viele Veranstaltungen schreiben, z. B. über unser Friedenskonzert zum Golfkrieg 1, aber ich denke, es reicht jetzt mit Beispielen. Klar ist, dass wir einiges aus dieser Zeit nun dringend wieder neu beleben müssen und dies auch tun.

Jetzt hoffen wir natürlich, dass sich dieser unsägliche Krieg durch die Weltgemeinschaft bald stoppen lässt. Diesem einen Manne, der ihn zu verantworten hat, muss Einhalt geboten werden.