Heute hat es bei uns geschneit. Einerseits liebe ich ihn, weil er die Welt so schön stille werden lässt. Andererseits geht mir dadurch natürlich jegliche akustische Orientierung verloren.
Trotzdem wollen wir hier auf den Spuren von Johannes Kepler wandeln, der sich intensiv mit den Schneeflocken beschäftigte.
Faszination Schneeflocke
Die vielfältigen und schönen Formen von Schneekristallen haben Menschen schon immer fasziniert. Schneeflocken sind zum einen sehr regelmäßig und harmonisch und
zum anderen scheint die genaue Form stark vom Zufall abzuhängen. Die Vielfalt der Formen ist so groß, dass man sagen kann: „Keine Schneeflocke gleicht der anderen.“ Wie kann es zu einer solchen Mischung aus Vielfalt und Regelmäßigkeit kommen?
- Welche mathematischen und physikalischen Gesetze bestimmen das Wachstum von Schneekristallen?
- Können mathematische und physikalische Theorien helfen, die Form von Schneeflocken zu verstehen?
Johannes Kepler war der erste Forscher, der Schneekristalle wissenschaftlich untersuchte.
Er war einer der Pioniere der Schneekristallforschung, und eine in seinen Studien zu diesem Thema formulierte Vermutung konnte erst vor Kurzem bewiesen werden. Kristallwachstum ist auch heute noch ein aktives Forschungsgebiet in Physik, Mathematik und Ingenieurwissenschaften.
Keplers Geschenk
Während seiner Zeit in Prag wird Kepler von seinem Freund und Gönner Matthäus Wacker von Wackenfels vielfältig unterstützt. So leiht ihm Wacker von Wackenfels sein Fernrohr für nächtliche Beobachtungen, er versorgt ihn mit Büchern, und beide diskutieren über Galileis Entdeckungen. Kepler möchte sich zum Neujahrstag des Jahres 1611 nun mit einem Geschenk bedanken.
Auf seinem täglichen Spaziergang durch das winterliche Prag lösen sich alle Ideen für ein Geschenk in nichts auf, da Kepler über keine finanziellen Mittel verfügt.
Kepler schreibt:
Auf der Karlsbrücke schließlich wurde durch einen glücklichen Umstand Wasserdampf und Kälte zu Schnee und einige Schneeflocken fielen da und dort auf Keplers Mantel, alle sechseckig und von gefächertem Aussehen.
Kepler schreibt weiter:
das war die richtige Sache für einen Mathematiker, der nichts hat und nichts erhält, etwas zu überreichen, das vom Himmel
fällt und wie ein Stern aussieht“.
Kepler machte sich also daran, für Wacker eine Abhandlung über die sechseckige Form von Schneekristallen anzufertigen. Wie auch seine
Arbeiten über die Planetengesetze, so enthält auch diese Schrift viele neue Gedanken.
Keplers Schrift für Wacker hatte den Titel „Strena Seu de Nive Sexangula“ (Neujahrsgeschenk, oder: Über die
sechseckige Schneeflocke“). Kepler fragte sich, warum Schneekristalle stets eine sechsfache Symmetrie aufweisen. Er schrieb:
Es muss einen bestimmten Grund geben, warum bei Einsetzen des Schneefalls die Anfangsformationen unverändert die Form eines sechseckigen Sternchens haben. Sollte es durch Zufall erfolgen, warum fallen sie dann nicht mit fünf oder sieben Ecken.
Keplers Vermutung
Er spekulierte weiter über die die sechsstrahlige Symmetrie verursachenden Kräfte und kam dabei zu der Frage, wie man Kreise in der Ebene und Kugeln im Raum am dichtesten packen kann. Zwar erwähnte Kepler nicht ausdrücklich eine atomistische Sichtweise, aber er fragte sich, ob die hexagonale Form von dicht gepackten Kugeln im Raum etwas mit der Gestalt von Schneekristallen zu tun hat.
Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen stellte Kepler die später nach ihm benannte Keplersche Vermutung auf. Dabei geht es um die Frage, wie sich gleichgroße Kugeln im Raum so anordnen lassen, dass möglichst wenig Zwischenraum bleibt. Kepler vermutete, dass die Lösung die sein muss, die man auf jedem Marktstand beobachten kann.
Zunächst legt man in einer Ebene z. B. Orangen in einem hexagonalen Gitter an. Auf diese legt man nun weitere Orangen in die tiefsten Punkte der unteren Schicht. So stapelt man nun Schicht für Schicht und erhält die sogenannte hexagonal dichteste Kugelpackung
Diese Kugelpackung besitzt eine Dichte im Raum von ca. 74,05 %. Kepler vermutete im Jahr 1611, dass diese Kugelpackung die dichteste Kugelpackung im Raum ist.
Kepler hatte keinen Beweis seiner Vermutung. Der erste Schritt zu einem Beweis wurde vom deutschen Mathematiker Carl Friedrich Gauß gemacht, der 1831 eine Teillösung veröffentlichte. Gauß bewies, dass die Keplersche Vermutung wahr ist, wenn die Kugeln in einem regelmäßigen Gitter angeordnet werden müssen.
Diese Aussage bedeutet, dass eine Anordnung von Kugeln, welche die Keplersche Vermutung widerlegen würde, eine unregelmäßige Anordnung sein müsste. Der Ausschluss aller möglichen unregelmäßigen Anordnungen ist jedoch sehr schwierig, wodurch der Beweis der Vermutung so schwierig wird. Es ist sogar bekannt, dass es unregelmäßige Anordnungen gibt, die in einem kleinen Bereich dichter als die kubische-flächenzentrierte Packung sind, aber jeder Versuch, diese Anordnungen auf ein größeres Volumen auszudehnen, verringert ihre Dichte.
Nach Gauß wurde im 19. Jahrhundert kein weiterer Fortschritt beim Beweis der Keplerschen Vermutung gemacht. 1900 nahm David Hilbert das Problem in seine Liste von 23 mathematischen Problemen auf – es ist ein Spezialfall von Hilberts 18. Problem.
Der Beweis von Keplers Vermutung
Ein Beweis für die Vermutung wurde fast vierhundert Jahre später, im Jahr 1998, von Thomas Hales (Universität Pittsburgh) gefunden. Hales’ Beweis benutzt viele Fallunterscheidungen, die nur mit Computerhilfe entschieden werden konnten. Mathematiker, die den Beweis als Gutachter geprüft hatten, gaben bekannt, zu „99 Prozent sicher“ zu sein, dass der Beweis richtig sei. Eine Restunsicherheit blieb, da nicht alle am Computer durchgeführten Berechnungen durch die Gutachter nachgeprüft wurden.
Und in noch was war Kepler seiner Zeit weit voraus
Da Kepler mikroskopische Eigenschaften für makroskopische Muster verantwortlich machte, war er seiner Zeit weit voraus. Ohne eine experimentelle Möglichkeit zu
haben, die Struktur der Materie im Einzelnen zu untersuchen, hatte Kepler die Idee, dass regelmäßige Formen durch lokale Regeln begründet werden können. Erst in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelang es mithilfe der Kristallstrukturanalyse, der Wellenmechanik der
Molekülstrukturen und der Thermodynamik der Phasen-Bildung, die Kristallstrukturen des Eises besser zu verstehen. Es zeigte sich, dass die hexagonale Anordnung der
Sauerstoffatome im Eis für die hexagonale Kristallsymmetrie in Schneekristallen verantwortlich ist. Damit wurden
Keplers Spekulationen darüber, dass Packungseigenschaften von Kugeln im Raum für die hexagonale Struktur von Schneekristallen verantwortlich sind, in gewisser Weise bestätigt. Kepler, der stets auf der Suche nach Gesetzen von Regelmäßigkeiten war, hatte hier also die richtige Intuition.
So viel mal für heute zu einer ganz anderen Seite von Johannes Kepler.
Ich hoffe, ihr hattet etwas Freude damit.
Herzliche Schneeflockengrüße
Euer Gerhard.
1000 Dank – ich habe die Abhandlung mit großem Interesse gelesen und auch zitiert!