Liebe Leserinnen und Leser,
immer und immer wieder darf ich erleben, wie inklusiv und wunderbar Astronomie vor allem Kinder und Jugendliche abholt, die nicht gerade begünstigt vom Leben sind.
Das möchte ich nun einfach mal ganz demutsvoll und bescheiden mit euch teilen.
Es geht mir hier ganz bestimmt nicht darum, zu zeigen, was ich für ein toller Hecht bin. Einzig und alleine die Kinder stehen im Vordergrund und wie ich sie mit der Astronomie erreiche.
Hier zwei anrührende Beispiele dafür:
1. Sternstunde an der Nikolauspflege Stuttgart
Die Nikolauspflege ist eine Bildungseinrichtung für Menschen mit Blindheit oder Sehbeeinträchtigung.
Zur Nikolauspflege
Von der Grundschule bis hin zu einer beruflichen Ausbildung ist hier alles geboten. Ein großer Teil ist die berufliche Vorbereitung. eine derartige Maßnahme muss häufig einer Ausbildung vorgelagert werden, weil noch Probleme zu kompensieren sind, der Einstieg in einen Beruf zu schwierig wäre, oder sonst einfach noch Defizite in Entwicklungsprozessen vorliegen.
Für so eine Klasse durfte ich diesmal nun schon zum zweiten Mal einen Astronomie-Nachmittag mit meiner Arbeitsplatzassistentin gestalten.
Hier kommt nun zuerst die Einladung, an die Schülerinnen und Schüler und anschließend ein Text, der Beschreibt, wie der Workshop war.
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Liebe Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Lehrende,
Heute darf ich Sie ganz herzlich zu einer Besonderheit einladen.
am … von … bis … in Raum …
werden wir den vollblinden Hobbyastronomen Gerhard Jaworek zu Gast haben. Er war selbst Schüler von 1986 – 1989 an der Wirtschaftsschule der Niko, ist dann nach Marburg gegangen und arbeitet jetzt nach Abitur und Informatikstudium seit 20 Jahren an der Universität in Karlsruhe. Astronomie ist seit Jahrzehnten seine Leidenschaft. Er bietet dazu Seminare, Workshops und Freizeiten an. Über diese Arbeit hat er das Buch „Blind zu den Sternen – Mein Weg als Astronom“ geschrieben, das man auch in den Blindenhörbüchereien als Hörbuch ausleihen kann.
Er sagt:
Was? Wie? blinder Astronom?“ Wie soll denn das gehen, wenn man keine Sterne sehen kann?
Darum, und um alles, was mit Weltall zu tun hat, wird sich mein Workshop drehen.
Wusstest Du, dass die Sonne klingt?
Hast Du schon einmal ein Nordlicht gehört?
Wie klingt es, wenn zwei Schwarze Löcher verschmelzen?
Hast Du schon einmal Modelle von Mond, Mars oder Kometen in deinen Händen gehalten?
Wenn nicht, und wenn Dich so was interessiert, dann bist Du genau richtig bei mir.
Hier kannst Du das alles und mehr über das Weltall erfahren. Und was natürlich den Workshop noch besser macht: Bringe Deine eigenen Fragen mit. Es gibt keine dummen Fragen, und wenn sie sich um das Universum, Planeten, Sterne, Weltraum und Raumfahrt drehen, schon gar nicht.
Also, ich freue mich auf Dich und bin gespannt auf Deine Fragen.
Es ist schön für mich, mal wieder an meine alte Schule zurück zu kommen.
Bis dahin grüßt euch
Gerhard Jaworek.
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Auf jeden Fall hatte ich an der Nikolauspflege kurz vor Ostern einen ganz wunderbaren Astronachmittag. Es waren Menschen, die sich gerade in einer einjährigen Maßnahme zur Berufsvorbereitung befinden. Also Personen, die momentan einfach nicht ganz auf der Sonnenseite des Lebens stehen, und etwas Unterstützung und noch Zeit benötigen, ins Leben, in die Welt und zu sich selbst zu finden.
Die Lehrerin hatte im Unterricht mit der Klasse Fragen vorbereitet. Jeder durfte seine Fragen stellen, und wurde von allen ermutigt, es doch zu tun, wenn mal der Mut etwas knapp wurde. So brauchte ich mein Notprogramm überhaupt nicht anfahren. Von den Fragen geleitet, ließ ich mich treiben, ohne natürlich die Struktur zu verlieren. Ein Notprogramm muss man immer dabei haben, denn ich kenne die Gruppe nicht. Es könnte ja vielleicht doch mal sein, dass die Teilnehmenden nicht so aktiv mitarbeiten. Das ist mir aber, Gott lob, bei Kindern und Jugendlichen noch nie passiert.
Immer wieder bin ich verblüfft, was für ein Wissen über Astronomie Kinder und Jugendliche besitzen.
Ich war sehr froh, dass auch Fragen kamen, wo ich einfach sagen musste, dass wir die Antwort darauf momentan nicht wissen.
Die erste Frage war gleich so eine: „Was war vor dem Urknall?
Es wurde viel zu Sonne, Mond und Mars gefragt. Klar, denn da will ja scheinbar jeder hin. Aber auch die Schwarzen Löcher wurden über die Medien aufgeschnappt. Jupiter und Saturn waren auch sehr präsent, wegen der Sonden Juno und der vergangenen Cassini-Mission. Der Start der Falcon Heavy war auch Thema.
Ein Flüchtling aus Afrika stellte Fragen, die ganz deutlich zeigten, dass in seiner freikirchlich christlichen Religion die Welt eine Scheibe war etc. Das hat mich fasziniert und erschüttert zugleich. Zu den Antworten ließ ich passend meine 3D-Modelle, meine Grafiken und andere Dinge herum gehen. Außerdem hörten wir uns sehr viele Weltraumsounds (Sonnenwind, Nordlichter, Mondlandung an. Vielen Dank an dieser Stelle an meine Assistentin. Dass sie die Modelle austeilte und wieder einsammelte, war mir eine unverzichtbare Hilfe. Somit konnte ich mich ganz auf die Inhalte konzentrieren und musste nicht unterbrechen.
Ich hatte diesmal deutlich verbesserte
3D-Modelle von den Planeten dabei. Ich habe mal bei meiner Scheffin gejammert und gaaaanz viel Druckzeit im Labor bekommen. Ein Planet dauert so ungefähr 40 Stunden.
Außerdem überarbeitete ich meine taktilen Mappen. Dann hatte ich eine Mondlampe dabei. Das ist ein taktiler Mond mit mehrfarbiger interner Beleuchtung. Kommt aus so einem Esoterik-Laden. Wirkt aber super und hat den Jugendlichen viel Spaß bereitet. Schade, dass ich meine Saturn-V-Legorakete nicht mitnehmen konnte. Die ist für eine Reise mit dem Zug leider zu groß und zu zerbrechlich.
Alle waren super interessiert und nahmen gleichberechtigt am Workshop teil.
Tja, was soll ich sagen. Es hat sich halt mal wieder bewahrheitet. Astronomie funktioniert halt einfach super gut bei Brennpunkt-Schülern etc., weil sie alle gleichermaßen abholt. Sie entrückt alle in ein- und dieselbe Astrowelt, wo Benachteiligungen und Einschränkungen, welcher Art auch immer, einfach mal Pause haben.
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2. Workshop an der Schule für Menschen mit Sehbehinderung in Mannheim
Die Schule für Menschen mit Sehbehinderung ist eine Grund-, Haupt- und Realschule für Menschen mit Restsehvermögen.
Ein wesentlicher Vorteil an dieser Schulform ist, dass die Klassen kleiner sind. Es ist kein Geheimnis, dass es durchaus Schüler an diesen Schulen gibt, die nicht wegen einer Sehbeeinträchtigung dort unterrichtet werden. Diese Schulart eignet sich eben auch, z. B. für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, wie ADHS, für Kinder mit Migrationshintergrund, oder sonstiger Benachteiligungen. Somit ist es klar, dass man hier auf Kinder trifft, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Hier ist mein Konzept für den Nachmittag, das ich der Direktorin dieser Schule schickte, die mir den Workshop ermöglichte, und dann folgt ein Fazit-Text, der nach dem Workshop entstand.
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Der Nachmittag soll unter dem Motto „Schall im All“ stehen. Wir werden so tun, als könnten wir uns ungestört auf allen Körpern unseres Sonnensystems bewegen. Wir spüren nach, wie es sich auf den Objekten unseres Sonnensystems anhören würde, wenn wir dort stünden.
Dass es wegen Hitze, Kälte, mangelnder Luft etc. natürlich nicht geht, wird vernachlässigt, aber selbstverständlich erwähnt.
Auf der Sonne beispielsweise wäre sehr viel Lärm, weil es auf ihr kocht und brodelt, wie in einem Kochtopf voll Wasser.
Unterhielten wir uns auf einem der Gasplaneten, z. B. dem Jupiter, würden wir uns anhören, wie ein Zwerg oder die Mikimaus, weil unsere Stimmen in Helium und Wasserstoff höher klingen, als in unserer Atmosphäre aus Stickstoff und Sauerstoff.
Ich blies auch eine Flöte mit Helium an. Unglaublich, wieviel höher der Ton damit wird. Bei einer C-Flöte kann der Ton, wenn es gut läuft, bei gegriffenem tiefem C bis zum darüberliegenden F verschoben werden.
Danke an #minkorrekt, die diesen Flöten-Versuch vor einigen Folgen als Experiment der Woche in ihrem Podcast hatten.
Auf der Venus mit ihrer unendlich dicken Kohlendioxyd-Atmosphäre, klingt dagegen alles deutlich tiefer, fast schon verblubbert.
Ich werde natürlich etwas zu den Himmelskörpern und deren Geräuschen erklären. Ziel ist es aber auch, dass die Kinder sich am Workshop beteiligen. Sie dürfen mit ihrer eigenen Stimme in ein Mikrofon sprechen, um die gewünschten Klänge in ihrer Sprechweise wahrzunehmen.
Vielleicht bringe ich sogar Helium und Luftballons mit.
Natürlich geben wir auch wieder Modelle herum.
Zeit für Fragen soll auch sein, denn das Astronomie-Wissen mancher Kinder übertrifft dasjenige mancher Erwachsenen, zumindest aus Sicht der Kinderwelt, um Längen.
Also ich denke, das sollten abwechslungsreiche 90 Minuten werden.
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am 19.04.2018 war ich zum zweiten Mal an der Schule für Sehbehinderte in Mannheim, wo ich einen Astro-Workshop halten durfte.
Das war wieder ganz großes Kino. Die Lehrerin warnte mich. Sie meinte, dass der Workshop diesmal sehr schwierig werden könnte, weil die eine Hälfte der Kinder extrem unruhig sei, und die andere Hälfte der Null-Bock-Generation angehöre. Ich dachte mir, warten Sie mal ab. Sie mögen vielleicht in ihrem Unterricht diese Probleme haben, aber ich…
Zum Glück behielt ich Recht. Die Kinder waren alle super aufmerksam, hatten Fragen etc. Naja, ich holte sie halt ab, bezog sie ein, stellte Fragen und lies sie frei denken.
Wir hörten uns mit einer Handy-App an, wie es auf der Venus und dem Jupiter klingen könnte. Für die Erde spielte ich Geräusche vor, die man den Voyager-Sonden mitgegeben hat. Beim Mond gab es natürlich etwas Funkverkehr von Apollo 13. Vom Bowshock der Juno-Sonde gibt es auch Radioaufnahmen. und von Cassini-Huygens gibt es beispielsweise den Abstieg von Huygens durch die Dicke Atmosphäre auf den Mond Titan.
Auch hier zeigte sich wieder ein unglaubliches Interesse und Wissen der Kinder. Wir haben beispielsweise durch meine Fragen alle Planeten und einige Monde des Sonnensystems zusammen tragen können.
Das astronomische Rätsel von Friedrich Schiller „Auf einer großen weide gehen, viel tausend Schafe, silberweiß…“ konnten die viertklässler fast ohne Hilfe entwirren. Sie fanden, dass der Mond das Silberhorn sein muss, dass die goldnen Tore Sonnenauf- und Untergang sein müssen, dass die große Wiese der Himmel ist, und die silberweißen Schafe natürlich die Sterne. Das komplette Rätselgedicht findet ihr auf meinem Blog,
Schillers Rätsel
https://blindnerd.wordpress.com.
Die Kinder erkannten die Gefahr des Weltraumwetters und fanden heraus, dass ihre Handys, Navis und Fernseher vielleicht nicht mehr funktionieren, wenn ein Sonnenausbruch einen Satelliten trifft. Der größte Schrecken dürfte der Gedanke gewesen sein, es könnte ja dann auch mal kein Internet geben.
Nach der Veranstaltung meinte die Direktorin, dass sie die Kinder noch nie so aufmerksam erlebt hätte. Was soll ich sagen. Wenn die Kinder im Workshop zeigten, dass sie das grundsätzlich können, dann liegt es entweder am Schulfach, oder am …, wenn es im Unterricht nicht rund läuft. OK, das muss man fairerweise schon sagen, dass es deutlich einfacher ist, Kinder für Astronomie, anstatt für Englischvokabeln zu begeistern.
Wie auch immer. Nach mittlerweile über einhundert Freizeiten, Seminaren, Workshops und Lesungen für unterschiedlichstes Publikum, stürzt mir in der Astronomie nichts mehr ab.
Ich bin am 24.08. mit einem Astro-Workshop bei der CDU in Bad-Schönborn eingeladen. Die JU führt dort ein Ferienprogramm für Kinder, die nicht in Urlaub fahren können, durch. Die haben mich gebeten, einen Astronachmittag für Kinder anzubieten. Da freue ich mich sehr darauf. Die kamen auf mich, durch die Caritass, wo ich im letzten November einen Vortrag zu „Inklusion am Himmel“ hielt.
Irgendwie ist es ein seltsames Gefühl, einen Workshop für eine Partei anzubieten. Man fühlt sich leicht instrumentalisiert und vor einen politischen Karren gespannt. In diesem Fall ist das aber ganz bestimmt nicht so. Hier stehen wirklich die Kinder im Vordergrund und keine politischen Ziele… Also das könnt ihr mir glauben. Für die AFD, hätte ich das niemals zugesagt.
Fazit:
Es ist ein rührendes und unglaublich gutes Gefühl, wenn man nach so einem Workshop wieder nach hause geht. Ich habe dann immer das beglückende Gefühl, etwas wirklich sinnvolles getan zu haben. Ich kann gar nicht beschreiben, wie es mir nach so etwas so unheimlich gut geht. Das trägt mich dann immer über viele Tage und Wochen durch meinen eigenen Alltag, wenn ich beispielsweise auch mit meiner Einschränkung zu kämpfen habe. Die eigenen Probleme relativieren sich vor dem Hintergrund, was manche, dieser Kinder so durchmachen müssen.
Jetzt hoffe ich, dass ich mich hier nicht zu sehr selbstbeweihräuchert habe. Darum geht es mir überhaupt nicht. Ich denke, dass vor allem diejenigen unter euch, die auch Astronomie mit Kindern und Jugendlichen treiben spüren und verstehen, was ich hier sagen will und meine.
Keine Astronomie an Schulen zu treiben, ist eine vertane Chance für so viele Dinge. Das Beispiel mit den Sateliten und dem Sonnenwind führt über die Handys in den Alltag der Kinder hinein. Von den unwirklichen Lebensbedingungen auf der Venus ist man ganz schnell bei den Begriffen Treibhauseffekt und Klimawandel. Astronomie kann ganzheitliches Denken fördern und schulen. Mehr über diese These ist in meinem Buch zu lesen.
Jetzt wünsche ich euch eine gute Zeit und verbleibe mit den besten Astronomiegrüßen
Bis zum nächsten Mal
Euer Gerhard.