Passend zum Frühling: „Zehn Gründe, sich mit Vogelstimmen zu beschäftigen“


Liebe Leserinnen und Leser,

nachdem meine zehn Gründe, als blinder Mensch Astronomie zu treiben, so eingeschlagen haben, versuche ich dieses auch für ein weiteres Hobby von mir zu erstellen.

Deshalb hier mal etwas passendes zum Frühling.
Oft bekomme ich von sehenden Teilnehmenden meiner jährlich im Frühjahr stattfindenden vogelkundlichen Wanderungen die Frage gestellt, weshalb ich mich mit Vögeln beschäftige, wo ich sie doch gar nicht sehen kann.
Hier sind die Gründe dafür.

 

1) Vogelstimmen sind so offensichtliche Geräusche, dass man einfach nicht daran vorbei hören kann.

 

2) Da Menschen mit Blindheit „Hörmenschen“ sind, ist es sehr naheliegend, sich auch mit den Klängen und Sounds der Vögel zu beschäftigen, die allgegenwärtig sind.

Überhaupt klingen auch Insekten sehr verschieden. Und Frösche und Kröten sind in diesem Zusammenhang auch sehr spannend und aufregend. Ich besitze sogar ein Gerät, das die Ultraschall-Sounds der Fledermäuse herunteroktaviert. Auch deren Stimmen sind absolut, je nach Art, sehr unterschiedlich.

 

3) Vogelstimmen ergänzen jeden Spaziergang.

Sie lenken auch von unschönen Dingen ab. Ich erinnere mich, als ich mal mit einer guten Bekannten Kleidung einkaufen war. Wir kamen plötzlich in einen starken Wolkenbruch hinein und wurden Bis auf die Knochen und Zigaretten nass. Sie konnte sich überhaupt nicht beruhigen und ihr Unmut wurde immer schlimmer. Da hörte ich plötzlich in all diesem Chaos und Getöse eine einzelne Amsel so laut, klar und wunderbar flöten, als ginge sie der ganze Regen und Sturm nichts an. Das traf mich, wie ein Blitz. Ich erkannte, dass diese Amsel im Moment nur für uns gesungen hat. Schlagartig geriet meine Stimmung auf einen absoluten Höhepunkt. Leider war meine Begleitperson in diesem Moment nicht dafür offen, und konnte daher nicht von ihrem Groll und Gram lassen. Sie tat mir in diesem Moment sehr Leid, denn ich hätte ihr das so sehr gewünscht, durch diese Amsel Friden mit der Situation zu schließen.

 

4) Vogelstimmen haben etwas mit Musik zu tun, was viele Menschen ansprechen dürfte. Wir singen, wie Nachtigallen oder Lärchen.

Nichts lehrt uns die Terz besser, als der Ruf des Kuckucks.

Eine Amsel steht in der Vielfalt ihres Gesanges einer Nachtigall in nichts nach. Kohlmeisen drehen manchmal ihr Lied einfach um, oder singen nur einen Teil davon, und die Singdrossel wiederholt eine gefundene Strophe drei vier Mal, bevor sie sich eine andere ausdenkt.

Also, wenn das nicht Musikalität bezeugt…

 

5) Die weiche Geborgenheit eines Vogelnestes, den Eierndarin,  ein Federbett und auch Vogelfedern sind so schöne haptische Erfahrungen, dass dieser Aspekt auch ein Teil dieses Hobbys darstellt.

Und ja, die Feder führt uns wieder zur Astronomie, denn eine Feder hat 1972 ein Astronaut gemeinsam mit einem Hammer aus Hüfthöhe auf den Mond fallen lassen. Beides kam gleichzeitig auf dem Mondboden an. (Fall zweier Gegenstände im Vakuum)

 

6) Würden wir nur diejenigen Vögel singen hören, welche für sehende Menschen aktuell an einem Ort auch sichtbar sind, wäre die Welt traurig still, da die meisten Vögel in Blättern, Büschen und Schilf oder Gras verborgen sind und dennoch singen.

Wenn wir nicht aufpassen, dann kann es aber durchaus zu dieser traurigen Situation kommen. Es ist kein Geheimnis mehr, dass die Singvögel, und damit auch ihr wunderschöner Gesang, zunehmend weniger werden. Ich nehme diese traurige Entwicklung schon seit Jahren wahr. Ich kommunizierte es schon, als noch niemand von dieser Misere sprach. Was für viele Menschen erst durch jahrelange Studien klar wurde, konnte ich mit meinen Ohren schon viel früher hören. Nichts gegen gute Studien, weil sie in Zahlen fassen, was traurige Gewissheit ist, aber das zeigt mal wieder, dass wir in der Regel unseren Augen mehr Vertrauen schenken, als unseren Ohren. Zahlen kann man sehen. Sie schaffen zwar einerseits Klarheit, andererseits aber auch Distanz zum Problem. Das Ohr hingegen schafft hier Nähe, weil es das Problem direkt in uns Menschen hinein führt, wenn wir dafür offen sind und die Welt in uns hinein lassen… Weg schauen ist deutlich leichter, als weghören. Die Ohren kann man nicht mal schließen.

Viele Neurosen dieser Welt gäbe es vermutlich nicht, wenn wir auch mal eher Hörmenschen wären.

Soll nicht heißen, dass das Ohr gut, und das Auge schlecht ist. Das Auge ist ein wunderbares Organ. Nicht, dass hier der Eindruck entsteht, ich würde als mensch mit Blindheit das Ohr glorifizieren und das Auge verteufeln. Ihr glaubt ja gar nicht, wie oft ich so gerne wenigstens ein schlechtes Auge hätte.

 

7) Es ist eine schöne Meditation, sich darüber Gedanken zu machen, weshalb und für wen die Vögel eigentlich singen. Nur für die Fortpflanzung ist mir persönlich als Grund zu wenig. Hierfür hätte die Evolution effektivere Wege zur Partnersuche gehen können und nicht einen so wunderbaren Gesang ausbilden müssen.
Die Größte Bevölkerung der Welt stellen vermutlich die Insekten dar. Sie singen nicht und haben offensichtlich keine Probleme der Fortpflanzung und Arterhaltung, was jeder all sommerlich erlebt, der Abends an einem Bach oder Fluss in einen Mückenschwarm gerät.

„Noch erlebt“,

sollte ich sagen, denn der dramatische Rückgang der Insekten ist für das Schwinden der Singvögel verantwortlich. Und dieses Insektensterben ist von uns Menschen hausgemacht. Wenn ich bedenke, wieviele Insekten man früher nach einer Autofahrt von vielleicht 100 Kilometern auf seiner Windschutzscheibe pappen hatte, und wie sauber die Scheiben heutzutage bleiben, dann wird der Rückgang der Insekten ganz deutlich und unmittelbar offenbar.

 

8) Da ich ein Mensch bin, der sehr von der Idee des Fliegens fasziniert ist,finde ich auch hier wieder zu den Vögeln.

Schon Otto Lilienthal ließ sich vom Flug der Störche inspirieren und davon, wie sie sich in die Termik einkreisen und in die Höhe tragen lassen. Trotz aller technischen Möglichkeiten, die heutzutage in ein modernes Segelflugzeug eingebaut sind, kann einem Segelflieger, der auf der Suche nach einem schönen Bart (Termikblase) ist, nichts besseres passieren, als sich bei einem kreisenden Vogelschwarm reinzukurbeln.

 

9) Vogelstimmen, Vogelflug und Vögel an sich, sind oft ein Symbol für Weite, Freiheit, Unbesorgtheit, etc. All dies ist in Literatur und Musik oft thematisiert worden und ist somit einfach sprachlich schön.

 

10) Wie auch die Astronomie, führt einem dieses Hobby in andere Gebiete, wie Literatur, Philosophie, Musik und Biologie. Betrachtet man Vogelschwärme und deren synchrones Verhalten, gelangt man rasch bis hin zu sehr theoretischen Fragen über Kommunikation,

Interaktion, Chaostheorie, etc.
Somit bietet auch dieses Hobby die Chance die Welt ganzheitlich und holistisch zu erleben. Noch viel inklusiver ist das Hobby durch mein Smartphone geworden. Früher musste ich stets einen Lautsprecher und einige CD’s mit Vogelstimmen nebst Diskman in den Wald mitnehmen. Heute zeige ich den sehenden Teilnehmern die Bilder der Vögel auf einer App, und wir können uns damit dann gleich die Vogelstimmen anhören, lernen und einprägen. Mich freut dann immer, wenn jemand plötzlich einen Freudensausbruch bekommt, weil Sie oder er den eben erlernten Vogel gehört – mit dem Fernglas nach ihm gesucht – und ihn dann richtig erkannt und zugeordnet hat.

Das ist auch Inklusion.

So, jetzt wünsche ich euch, dass ihr viele Vogelstimmen hören könnt, dass ihr euch daran erfreut und dass wir dadurch hoffentlich zu einem besseren Umweltbewusstsein gelangen.

 

Bis zum nächsten Mal grüßt euch ganz herzlich

Euer Gerhard.

 

 

Ein Gedanke zu „Passend zum Frühling: „Zehn Gründe, sich mit Vogelstimmen zu beschäftigen““

  1. 1.) Du scheibst „Man kann wegschauen aber nicht wegsehen“. Ich vermute du meinst weghören.

    2.) Auch ich als Sehender genieße die Vogelstimmen. Zu Beginn der Abenddämmerung kriegen die Vogelstimmen einen anderen Klang, mehr Hall. Das ist die Zeit, wenn die Amseln anfangen viel zu singen. Diese Zeit des Tages versetzt mich oft zurück in meine Kindheit.

    3.) Auch dein Astro-Artikel war sehr spannend.

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