Liebe Leserinnen und leser,
in diesen Tagen, Mitte Mai 2020, soll bei guten Bedingungen der Merkur neben der Venus und der Mondsichel sogar bei uns gut zu sehen sein. Das ist nicht so einfach, weil der Merkur sehr klein ist und meistens wie der Mond bei Neumond von der Sonne überstrahlt wird. Deshalb sieht man ihn, wenn überhaupt nur am Morgen- oder Abendhimmel nahe bei der Sonne. Der große Astronom Kopernikus soll einer Legende nach auf seinem Sterbebett gesagt haben, dass es ihm zu Lebzeiten nie vergönnt gewesen wäre, den Merkur zu sehen. Aber der Merkur war schon in der Antike bekannt, weil man ihn eben manchmal mit bloßem Auge sehen kann. Merkur machte auch wegen seiner merkwürdigen elliptischen Bahn auf sich aufmerksam. Erst durch die Relativitätstheorie konnte die sog. Periheldrehung des Merkur erklärt werden. Damit ist gemeint, dass sich die ganze Merkurbahn langsam um die Sonne dreht. Somit verschiebt sich dann auch sein Perihel, sein sonnennächster Punkt. Die Newtonsche Himmelsmechanik reichte nicht aus, diese zu beschreiben.
Heute wollen wir uns mal mit einer Merkwürdigkeit befassen, die es so in unserem Sonnensystem nur auf dem Merkur zu beobachten gibt.
Der Lauf der Sonne auf Merkur
Man würde sich dort sehr über den Lauf der Sonne wundern, wenn man sich denn dort aufhalten könnte. Von einem Sonnenaufgang zum nächsten vergehen auf dem Merkur 176 Tage. Außerdem scheint die Sonne auf dem Merkur bei Sonnenauf- und Untergang aus dem Gang zu geraten. Am Äquator bleibt sie zur Mittagszeit kurz stehen, läuft dann etwas rückwärts, dann hält sie erneut an, um dann wieder ihren normalen Lauf von Ost nach West wieder aufzunehmen. Noch merkwürdiger wird alles, wenn man sich 90 Grad links oder rechts vom Mittagspunkt befindet, wo die Sonne gerade im Begriffe ist, auf- bzw. unter zu gehen. Man würde dort einen doppelten Sonnenauf- oder Untergang erleben. Also wenn die Sonne am Merkur-Morgen erscheint, verschwindet sie nochmal kurz unter dem Horizont, um dann endgültig richtig aufzugehen. Ebenso am Abendhimmel. Dort geht sie zunächst unter, erscheint dann nochmals kurz über dem Horizont, um sich dann zur Nacht zu begeben.
Dieses Kuriosum gibt es nur auf dem Merkur in unserem Sonnensystem. Was geht da vor.
Auf erden ist alles, wie es sein soll
Jeder weiß, dass sich die Erde links herum gegen den Uhrzeigersinn dreht, weshalb die Sonne von Ost nach West über den Himmel zu laufen scheint. Es ist auch bekannt, dass die Erde ungefähr 24 Stunden für eine Umdrehung benötigt. Für ihren Umlauf um die Sonne benötigt sie ein Jahr, ungefähr 365 Tage. Beim Merkur ist das alles anders.
Wie denn?
Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts dachte man, dass der Merkur uns stets dieselbe Seite zeigt. So ist das bei unserem Mond. Dessen Drehung um sich selbst entspricht genau seiner Umlaufzeit um die Erde, einem synodischen Monat. Deshalb sehen wir seine Rückseite nie. So dachte man sich das eben auch von Merkur. Mit Teleskopen, Radar und Raumsonden, als man Struktur auf dem Merkur ausmachen konnte, fand man heraus, dass er sich doch etwas schneller um sich selbst dreht, als ein Umlauf um die Sonne dauert.
Er zeigt uns eben doch nicht immer dieselbe Seite.
Für eine Umdrehung benötigt Merkur 58,646 Tage. Für einen Umlauf um die Sonne benötigt er 87,969 Tage. Das bedeutet, dass wenn Merkur zweimal die Sonne umrundet, dreht er sich dreimal um sich selbst. Und damit nicht genug. Merkurs bahn ist extrem elliptisch. An seinem sonnenfernsten Punkt, dem Aphel, beträgt sein Abstand zur Sonne rund 70 Millionen Kilometer. In seinem sonnennächsten Punkt, dem Perihel ist er nur noch knapp 46 Millionen Kilometer von ihr entfernt. Dagegen verglichen laufen Erde und Venus fast auf Kreisbahnen.
Das bedeutet, dass Merkurs Winkelgeschwindigkeit auf seiner Bahn sehr stark variiert. Keplers zweites Planetengesetz besagt, dass der Fahrstrahl eines Planeten stehts gleiche Flächen zu gleicher Zeit überstreicht. Der Fahrstrall ist die gedachte Hilfslinie zwischen Stern und Planet. Ist nun unser Merkur an seinem entferntesten Punkt von der Sonne, ist sein Fahrstrahl länger. Wenn der zu gleicher Zeit eine gleiche Fläche überstreichen soll, bedeutet das, dass Merkur sich langsamer auf seiner Bahn bewegen muss, um diese Bedingung zu erfüllen. Das „Kuchenstück“ ist dann zwar länger, aber deutlich schmaler. In Sonnennähe beschreibt der Fahrstrahl dann zur selben gegebenen Zeit ein kürzeres, aber breiteres „Kuchenstück“, ganz davon abgesehen, dass der Kuchenrand keinen Kreis beschreibt, weil es sich um eine elliptische Bahn handelt, aber als Bild geht es so.
Nun haben wir alle Fakten beieinander, um Merkurs Sonnen-Wunder zu erklären.
Von Winkeln und Verhältnissen
Zunächst ist es so, dass ein Beobachter auf dem Merkur die Sonne im Laufe eines Merkur-Jahres immer größer wahrnimmt, so lange Merkur sich auf sein Perihel zubewegt. Entfernt er sich dann wieder von ihr, erscheint die Sonne wieder kleiner. Bei dieser starken Exzentrizität der Merkurbahn würde man das deutlich sehen. Den Effekt hätten wir gern bei unserem Supermond…
Wir haben oben gefunden, dass Merkur drei Umdrehungen innerhalb zweier Merkur-Jahre (Lauf um die Sonne) vollführt.
Die Geschwindigkeit, mit welcher Merkur sich um sich selbst dreht, bleibt konstant. Bei Drehungen spricht man gerne von Winkelgeschwindigkeiten, also von der Änderung des Winkels pro Zeit. Für die Eigendrehung des Merkur ist die konstant.
Beim Lauf um die Sonne auf merkurs extrem elliptischer Bahn ist das durchaus nicht so, denn sonst wäre keplers Gesetz mit den Flächen und dem Fahrstrahl nicht erfüllbar. Man kann also sagen, dass die Winkelgeschwindigkeit der Eigenrotation des Merkur ungefähr 1,5 mal größer ist, als die durchschnittliche Winkelgeschwindigkeit seines Laufes um die Sonne. Betrachtet man aber nun die Position des Merkur auf seiner Bahn, ändert sich dieses Zahlenverhältnis sehr stark. Im sonnenfernsten Punkt ist die Winkelgeschwindigkeit um 0,68 mal kleiner als die mittlere Winkelgeschwindigkeit und im Perihel um den Faktor 1,53 größer. Somit stehen im Aphel die beiden Winkelgeschwindigkeiten 1,5 (Eigendrehung konstant) zu 0,68 und im Perihel 1,5 (Konstante Eigendrehung) zu 1,53 (Bahnumlauf).
Was fällt hier auf:
Je näher der Merkur seinem sonnennächsten Punkt kommt, desto größer wird seine Bahngeschwindigkeit. Das Verhältnis zur konstanten Winkelgeschwindigkeit der Eigendrehung steigt also vom Aphel mit 0,68 bis zum Perihel mit 1,53 an. Nun ist das Verhältnis plötzlich anders herum.
Konsequenzen
Die Winkelgeschwindigkeit der Eigendrehung ist im Verhältnis zur Umlauf-Winkelgeschwindigkeit plötzlich kleiner. Das bedeutet, dass die Sonne für den Beobachter plötzlich rückwärts läuft, denn negatives Geschwindigkeitsverhältnis bedeutet entgegengesetzte Richtung.
Und was passiert an dem Punkt, wo das Verhältnis 1,5 zu 1,5 ist? Dort steht die Sonne kurz still und kehrt ihre Richtung von einem Beobachter aus gesehen entweder wieder in die richtige Richtung um, dass sie wieder von Ost nach west läuft, oder in die falsche.
Und was bedeutet das für den Beobachter an einer der Tag-Nacht-Grenzen? Genau. Die Sonne läuft rückwärts und tut nochmal, was sie schon tun wollte, nämlich auf- oder unterzugehen.
Und wie kommen wir auf die Tageslänge von über 180 Tagen, obwohl die Sonne sich in 54 Tagen um sich selbst dreht? Das liegt am Verhältnis von Merkurtag zu Merkurjahr. Hat die Sonne von ihrer Umdrehung her den Merkurtag beendet, hat sie sich erheblich auf ihrer Bahn weiter gedreht, Wir Erinnern uns Drei Umdrehungen in zwei Umläufen. Deshalb dauert die Zeitspanne so lange.
Liebesurlaub auf dem Merkur
Puh, das war jetzt kompliziert, oder?
Aber für Verliebte wäre das doch wirklich super romantisch mit den zwei Sonnenauf- und Untergängen.
Auch für Sonnenanbeter gibt es auf dem Merkur ein Plätzchen. Sie sollten die Caloris Planitia besuchen. Es ist das Becken der Hitze auf Merkur. Dieser Einschlagskrater hat einen Durchmesser von 1,500 km. Es ist der Ort, bei dem zum Zeitpunkt jedes zweiten Perihel-Durchgangs die Sonne im Zenit steht. Und sie verlängert das Sonnenbad noch etwas, denn sie wandert ja am Perihel kurz rückwärts. Näher kommt man der Sonne so wohl nicht und bei molligen mehreren Hundert Grad und ohne schützende Atmosphäre, dürfte sich die erwünschte Bräune rasch einstellen.
Und eins noch zur Urlaubs-Saison auf Merkur:
Jahreszeiten in dem Sinne, wie wir sie durch unsere um 23 Grad geneigte Erdachse auf der Erde haben, gibt es auf Merkur nicht, da seine Achse nur um 0,01 Grad gekippt ist. Man kann sagen, er steht aufrecht. Seine sehr elliptische Bahn bewirkt aber, dass die Sonneneinstrahlung variiert. Dieser Effekt hat auf Erden wegen der fast kreisförmigen Bahn keine Auswirkung. Allerdings bewirkt die Exzentrizität der Erdbahn, dass unser Sommer ungefähr vier Tage länger als der Winter ist. Es ist noch nicht ausgemacht, ob an den Polem von Merkur Skiurlaub möglich sein könnte. Kann sein, dass es Eis in Kratern an den Polen gibt, wo nie Sonne hin kommt. Möglicherweise muss man dann selbst die Piste beleuchten.
Und auch Kunstkenner kommen auf Merkur durchaus auf ihre Kosten. Besuchen sie doch Rembrandt, den größten Krater des Merkur. Bedenken Sie, dass die Kleiderordnung hierfür durchaus einen veritablen Raumanzug verpflichtend vorsieht. Und ob Sie dort Gemälde finden werden, ist äußerst fraglich. Wie dem auch sei. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.
Naja, ob aber jemals Menschen in diese heiße Wüstenwelt ohne Atmosphäre reisen möchten, sei dahin gestellt.
Jetzt warten wir erst mal, bis in einigen Jahren die Raumsonde BepiColombo am Merkur ihre Forschungsarbeit aufnimmt. Apropos Merkur und Missionen:
Folge 43 des Podcasts Raumzeit beschreibt die Mission sehr hörenswert und in Folge 44 dieses Podcast geht es um den Merkur an sich.
Inspiriert zu diesem Artikel hat mich das Buch Sternstunden des Universums von Harald Lesch, das es bei Audible auch als Hörbuch gibt.
Wie auch immer:
Bis Bepicolombo am Merkur ist, wird es aber noch viele neue Artikel auf Blindnerd geben.
Es grüßt euch herzlich
Euer Blindnerd.
Cool, das mit den doppelten Sonnenaufgängen wußte ich noch gar nicht. Gibt es eigentlich Corona-Reisebeschränkungen für den Merkur? Sonst fahren wir doch einfach dieses Jahr mal dahin 😉
Herzgruß
Martin
Mein lieber Freund, vielen Dank für diesen schönen Kommentar. Corona gibt es am Urlaubsort Merkur mehr als genug, denn er ist der Sonne sehr nahe. Die Sonnenkorona dürfte in seinem Perihel fast an ihn heran reichen. Allerdings müssten wir einen Heliographen mitnehmen, um sie zu sehen, weil kein Mond in der Nähe wäre, der uns eine Sonnenfinsternis darbieten könnte. Und es dauert bissel, die Reise zu diesem Urlaubsziel, mehrere Jahre. BepiColombo mus glaub zwei Mal an der Erde und mehrfach an der Venus schwung holen, um schnell genug für die Landung auf Merkur zu sein. Ansonsten würde uns die Sonne mit ihrer Gravitation rein ziehen.