Liebe Leser*innen,
nun meldet sich auch der Blindnerd mit einem etwas länglichen Artikel zurück im Jahre 21. Ich hoffe, ihr konntet alle das etwas andere Weihnachten und das etwas andere Silvesterr trotz allem genießen. Ich hatte es mit einem Freund und seiner Familie in Saarbrücken sehr schön. Es war beschaulich, gemütlich und sehr entspannt.
Dank an ihn und seine Familie, dass sie mich für zehn Tage beherbergt haben, ansonsten wäre die Zeit im Lockdown sehr einsam für mich geworden. Selbstverständlich lief hier alles im Rahmen des Erlaubten und ggf. unter der Maske ab.
OK, die Weihnachtszeit liegt hinter uns. Hoffentlich können und dürfen wir die nächste Weihnachtszeit wieder etwas lockerer in gewohnter Weise feiern.
Es ist zwar etwas spät, wenn ich euch heute von einem Weihnachtsgeschenk, von einem sehr astronomischen Weihnachtsgeschenk erzähle, zumal das neue Jahr quasi schon im Gange war, als ich es per Post zugestellt bekam, aber das ist in der Geschichtsschreibung nichts ungewöhnliches, dass Ereignisse, z. B. Kriege, deren Siege oder Niederlagen, Naturkatastrophen, ja auch Ausbrüche von Pandemien oder Feuersbrünsten später im Nachhinein astronomischen Ereignissen oder Gegebenheiten zugeordnet wurden. Daten werden hierzu beispielsweise Erscheinungen von Kometen oder Sonnen- und Mondfinsternissen zugeordnet. Da wird dann halt noch etwas an der Geschichte geschraubt, dass es wieder passt. Das tue ich heute auch, indem ich ein quasi sagen wir Geschenk, dass ich eher zu Dreikönig als zu Weihnachten bekam, als mein schönstes Weihnachtsgeschenk bezeichne. Später werden die Geschichtsschreiber die zeitliche Lücke vielleicht Problemen der Paketzustellung zuschreiben, denn dass mein Geschenk kein Weihnachtsgeschenk gewesen sein soll, wo doch noch die große Konjunktion, quasi der Weihnachtsstern am Himmel stand, wird niemand im nachhinein behaupten wollen. Vielleicht wird man dereinst Corona der Erscheinung des Kometen Neowise zuordnen. Ich schrieb in meinen Kometengeschichten 4 darüber.
So einfach geht es, dass man, in meinem Fall harmlosen Schwurbel erzeugt. Hüten wir uns vor bösem Schwurbel, der sehr gefährlich sich schlimmer noch, wie das Virus selbst, auf der Welt momentan verbreitet und weit größeren Schaden hinterlassen kann, als das Virus, aber lassen wir das für den Moment und wenden uns dem Geschenk nun zu…
Die Ankunft
am 04. Januar erhielt ich plötzlich einen Anruf von meinem ehemaligen Geschichtslehrer, Freund, Mentor und bis heute Chorleiter, dietmar. Das ist an sich nichts ungewöhnliches, dass der mich anruft, da uns vor allem musikalisch viel verbindet. Ich singe voll Begeisterung in seinem Ehemaligenkor der Blindenschule, in welcher er vierzig Jahre lang unterrichtete und mittlerweile seit ungefähr anderthalb Jahrzehnten seinen wohlverdienten Ruhestand genießt. Er leitet diesen Chor bis heute, unterstützt unsere Folk-Gruppe Soultouch, die sich aus diesem Chor gebildet hat, ich darf bei Auftritten und Proben stets die Tonaufnahmen ziehen und dann versuchen, sie am PC so hin zu bekommen, dass man sie durchaus auch mal auf die eine oder andere Weise veröffentlichen kann, z. B. auf CD.
Es ist also nichts besonderes, dass er mich anruft, zumal ich hier noch einige Abmischungen in der Pipeline habe und wir eine Oster-CD planen.
Anstatt musikalischer Dinge fragte er mich plötzlich, an welche Adresse er mir etwas schicken könnte. Er habe ein etwa 50 cm im Quadrat großes Paket für mich und würde mir das gerne schicken. „Du liebe Güte“, dachte ich. Was soll das denn sein. Liedtexte in Punktschrift schieden aus, denn die schickt er mir elektronisch und ich drucke sie dann. Verstärkt wurde die Spannung noch dadurch, dass er darum bat, dass wir das Paket gemeinsam öffnen, also ich solle ihn anrufen, und er leitet mich an, wie das Teil zu öffnen sei.
Er nannte seine Verpackung „Böhringer-Verpackung“, so heißt er, und ich kann euch sagen, das ist sie auch.
Am Donnerstag nach Dreikönig erhielt ich nun dieses große, flache Etwas.
„Will er mir jetzt ein Bild schenken?“ war mein erster Gedanke. Das wäre ja dann vielleicht nicht ganz das passende Geschenk für einen Blinden. „nein, das kann ich mir nicht vorstellen“, aber wie ein gut verpacktes Bild fühlte es sich tatsächlich an. Die Verpackung besteht aus einem Holzrahmen aus vier Leisten, einer Rückwand aus Karton, einem Deckel auch aus Karton und alles war äußerst raffiniert und kunstvoll mit hochwertigem Tape verklebt. Nicht zuletzt hatte das Paket noch eine Trageschnur. Ich hielt meine Neugierde aus und wartete auf seinen Anruf, damit wir den Schatz gemeinsam heben würden, wie ich es ihm versprochen hatte.
Die Schatzhebung
Sein Anruf kam am Freitag Abend. Allerdings zunächst etwas ungünstig, da mir wenige Minuten vorher ein Bote etwas anderes flaches in einem Karton vorbei brachte, eine Pizza. So vertröstete ich Dietmar auf später, öffnete ein Fläschchen wein und versorgte die Pizza in meinem Bauch. Dann suchte ich meine Ausrüstung,
- Messer,
- Schere,
- Headset für die freien Hände,
- Telefon,
- mein Weinglas, das Teleskop des blinden Astronomen
- das Paket
zusammen, setzte mich aus Platzgründen auf meinen Wohnzimmerteppich und rief ihn an. Ich hatte mir schon ausbedungen, wo ich das Messer zuerst ansetzen würde. Sofort kam von ihm die Warnung, dass ich um Himmels willen nichts und nirgendwo schneiden solle. „Wie soll das dann aufgehen“, dachte ich mir. „Hat er dafür einen Zauberspruch?“
Nein, den hatte er nicht, sondern etwas viel besseres. Er dirigierte meine Hände über den Deckel des Paketes, indem ich zuerst den Ausgangspunkt, den Adressaufkleber finden sollte. Von dort aus ging es dann in verschiedene Richtungen an die Ränder des Paketes, wo ich die Verklebung fühlen konnte. Und was war das. Da gab es wirklich nichts zu schneiden. Dietmar hatte die Tapestreifen so verlängert, dass er sie zu Laschen umschlagen konnte. Ein kurzer Ruck an jedem, ein deutlich hörbares Ratschen und der Klebestreifen ließ sich rückstandsfrei öffnen. Es war halt sehr gutes Klebeband. Ich erkannte es sofort. Damit verklebten wir über dreißig Jahre unsere Kabel am Boden unterschiedlichster Bühnen, wo ich mit verschiedensten Bands auftrat. Ob Hochzeit, Tanzabend, Schulfest, Folk-Fest etc. dieses Klebeband hielt quasi unsere Bands, zumindest unsere Ausrüstung zusammen und niemand stolperte über seine eigenen Kabel und Füße. Übrigens war ich von 1986 – 1989 Gründungsmitglied, Bassist und Sänger in der Schulband, der Schule, an welcher Dietmar unterrichtete und ich Schüler war. Abends und nachts schrien wir unsere Seelen in die Mikros, und tagsüber mussten wir uns dann müde und verkatert durch Dietmars Geschichtsunterricht quälen, der aber meistens ganz interessant war.
Die Schule, um die es ging, ist die Nikolauspflege Stuttgart, eine Ausbildungsstätte für Menschen mit Blindheit oder Sehbeeinträchtigung.
Tja, solche Erinnerungen kommen einem, wenn sich Freunde so lange kennen, miteinander telefonieren und man dieses Klebeband in Händen hält. Also, nun waren alle Laschen gelöst und ich konnte den Deckel von mir weg aufklappen.
Die Erkundung
Nun tastete ich und tastete, fühlte dicke und dünnere Punkte auf Folie, manche davon waren durch Striche miteinander verbunden, und bei genauerem Tasten fand ich sogar Beschriftungen in Punktschrift.
Und da durchfuhr es mich. Ähnlich dem klaren und lauten C-Dur-Akkord, der in Joseph Haydns Schöpfung heraus bricht, als „Es werde Licht“ gesprochen wird, bei dem es mir immer, wenn ich nur an diesen Klang denke, kalt den Rücken herunter läuft, so geschah es mir auch jetzt. Mit Wucht und Klarheit traf es mich. Was hier vor mir auf dem Boden lag, ist eine taktile Sternnkarte. „Wo hat er die denn jetzt wieder ausgegraben“ fragte ich ihn. Ihr müsst wissen, dass solche tastbaren Sternenkarten äußerst selten sind, fast so selten wie die Zauberringe der Elben aus Herr der Ringe und aus dem kleinen Hobit.
Sie sind äußerst schwer herzustellen.
Exkurs über die Herstellung der Sternkarte
Man musste damals, als es noch keine 3D-Drucker, keine graphikfähigen Braille-Drucker und keine Lasercutter gab, mühsam das Modell der Karte auf einem Brett erstellen. Zunächst muss man die Karte zeichnen, bzw. eine auf das Brett kleben, was meist ob der Größe, die man zum Ertasten benötigt nicht ausreicht, also muss man sie skalieren, vergrößern und irgendwie für die Modellierer*in sichtbar auf das Brett aufbringen. Dann werden die Löcher für die Sterne gekörnt (angebohrt). Danach müssen Alle Verbindungsdrähte geschnitten werden, welche dann mit den Sternen als Ecken die Sternbilder ergeben sollen. Linien, die es am Himmel nicht gibt, aber die wir uns in unserer äuropäischen Kultur schon seit der Antike so ausgedacht haben, um Orientierung am Himmel zu haben. Und da ist gleich noch ein Problem. Der Himmel befindet sich an der Innenseite einer Halbkugel, die sich über uns wölbt. Das Brett aber ist flach. Hat jemand von euch schon mal versucht, z. B. einen abgeblasenen Ball flach auf einen Tisch zu legen? Es wird niemals ohne Falten gehen, weil eine Kugel einfach eine Kugel ist. Auf ihr herrscht eine völlig andere Geometrie als auf einem Brett. Dort ist die Ggeometrie flach. Das bedeutet, dass ein Dreieck eine Winkelsumme von 180 Grad besitzt.
Auf einer Kugel kann man drei Linien sich rechtwinklig so schneiden lassen, dass man ein Dreieck mit drei rechten Winkeln, also 270 Grad als Winkelsumme bekommt.
Stellt euch z. B. einen Globus mit seinem Äquator vor. Nun wählen wir uns einen Längengrad, z. B. den Null-Meridian. Wir führen ihn auf dem Globus weiter, bis sich die Linie schließt. Nun nehmen wir einen weiteren Längengrad, der an den Polen mit dem ersten einen Winkel von 90 Grad bildet. Das tuen die beiden Längengrade mit dem Äquator auch,
Und siehe da. Wir haben Dreiecke mit drei rechten winkeln.
Also muss auch das immer dann beachtet werden, wenn man flache Karten zeichnet. Erstellt man einen Grundriss einer Wohnung, oder vielleicht noch eines Hauses, dann schlägt die Erdkrümmung noch nicht so sehr zu, aber Geodäten (Weltvermesser) bekommen es dann schon mit der Kugelform der Erde zu tun, vor allem auch bei Seekarten etc.
Wer einen Globus mit einer flachen Weltkarte vergleicht, auf welcher noch die Längen- und Breitengrade eingezeichnet sind, wird die Verzerrung deutlich fühlen. Das schlägt am Himmel natürlich auch zu.
Nun werden einzeln die Sterne genagelt, verschraubt und miteinander mit den Drähten verbunden, dass sich langsam die Sternbilder aufbauen. Das ist sehr kniffelig, denn die Drähtchen sollen sich ja auch nicht verbiegen und die Nägel oder Schrauben nicht krumm sein. Bei meiner Karte hier hat sich der Schöpfer sogar die Mühe gemacht, dickere und dünnere Nägel für unterschiedlich helle Sterne zu verwenden. So ist z. B. der Sirius sehr dick. Nun müssen die Schildchen für die Blindenschrift geschrieben werden. Ohne Computer war das früher nur so möglich, dass die sehende Modellierer*in die Punktschrift selbst mit einer Punktschrifttafel oder Punktschriftmaschine erzeugen kann, bzw. es muss eine blinde Person zu Rate gezogen werden, die das erledigte.
Sorry, ihr Lehrer*innen, die ihr blinde Menschen unterrichtet. Wer von euch kann das noch ohne Computer und Punktschriftdrucker?
Ich kenne sogar blinde Menschen, die nicht mehr auf einer Punktschrift-Tastatur klar kommen. Ist ja dank der modernen Technik auch nicht mehr so wichtig, aber ich denke doch, dass zumindest geburtsblinde Menschen, oder solche, die die Beeinträchtigung relativ jung erwerben, das noch lernen sollten. Ohne Punktschrift auf Papier schreiben zu können, hätte ich, nur an der Braille-Zeile arbeitend, meine Mathematik-Studien an der Uni niemals geschafft.
Nun ist das Modell, die Vorlage fast fertig.
Es muss nun noch für die Vakuum-Maschine präpariert werden, damit man mit dem Tiefzieh-Verfahren Folienabzüge davon anfertigen kann.
Exkurs über das Tiefzieh-Verfahren in der Welt der Blinden
Das Tiefzieh-Verfahren funktioniert so, dass man eine Folie auf das Modell legt, und beides dann in den Tiefzieh-Ofen schiebt. Ein Klapprahmen am Rand verhindert das Verrutschen der Folie. In diesem Apparat wird nun die Folie durch Erwärmung weich gemacht. Gleichzeitig wird von unten die Luft aus dem Ofen gesaugt. Dieses Vakuum zieht nun die weiche heiße Folie über das Modell. Kühlt man das ganze dann ab, bleibt ein Folienmodell der Sternenkarte zurück. Dies kann man nun mit neuen Folien wiederholen, und erhält dann mehrere Kopien des Modells.
Der Teufel steckt aber auch hier im Detail. Durch ein hartes Brett lässt sich kein Vakuum ziehen. Das muss die Modellierer*in bedenken und kleine Löcher in die Platte bohren, damit durch diese die Luft abgesaugt werden kann. Verteilt man diese Löcher nicht richtig auf dem Brett, dann passiert es, dass das Vakuum ungleichmäßig gezogen wird, die Folie dann falten wirft, die man im Nachhinein nimmermehr heraus bekommt und die Folie ist dann kaputt. Auf diese Weise haben unsere Lehrer früher mit Punktschrift-Vorlagen auf Papier, die sie von Hand mit einer Punktschriftmaschine abschreiben mussten, Folienkopien für uns erstellt. Normalerweise durften wir diese Folientexte natürlich behalten, denn wir mussten deren Inhalt ja noch lernen… Zu Zeiten der Ölkrise Anfang der 70er Jahre wurden die teuren Folien aber wieder gesammelt und neu eingeschmolzen. Daran kann ich mich noch als kleiner sechs oder siebenjähriger Schüler erinnern, das das gemacht wurde.
Der Fund
Also, nun lag dieses sehr aufwändig hergestellte Geschenk vor mir und ich war den Tränen vor Rührung nahe und musste erst mal an meinem Weinchen nippen.
- Wie kam ich zu der Ehre, dass mein Freund mir eine solche Karte schenkt?
- Wo hat er sie gefunden?
- Wie alt mag sie sein?
- Gibt es die Vorlage dafür noch?
- Lebt der Hersteller der Vorlage noch?
- Wie kann ich demjenigen danken, der die Kopie für mich gezogen hat
- Wie kann ich Dietmar und den hilfreichen Personen das je danken?
Das waren so Fragen, die mir da demutsvoll durch den Kopf gingen.
Es ist so, dass es vermutlich an nahezu allen Blindenschulen noch Speicher, Keller und Abstellräume gibt, wo noch derlei Schätze lagern. Heute lagern die Modelle nur noch auf Festplatten von Computern oder in Clouds, damit sie für die Nachwelt verfügbar bleiben.
Dietmar interessiert sich schon immer, schon auch als Historiker, für alte Sachen. Er findet solche Schatzgruben und hütete sie auch, als er noch nicht pensioniert war.
Er hütete sie nicht nur, sondern verwendete sie in seinem Unterricht. Einmal, als ich in einer Pause entweder einem Mädchen nachgehen wollte, eine Zigarette rauchen oder einfach nur ein biologisches Grundbedürfnis hatte, rief er mich plötzlich in seinem schwäbischen Dialekt an.
Kosch Dur mir amol helfe, ebbes zum trage? Mir brauche des bei euch in der nächste Stond.
Willig und damals noch den Lehrern hörig, ließ ich von meinem geplanten Vorhaben ab, erklärte mich freundlich bereit und folgte ihm in seinem schnellen Schritte in einen Raum, in dem ich vorher noch nie gewesen war. Moderig und stickig war dort die Luft. Besonders viel Licht gab es dort auch nicht, was ich damals noch sehen konnte. Was er getragen haben wollte war ein etwar 120 auf 80 cm großes Modell eines Schützengrabens, dessen Funktionsweise er uns in seinem Geschichtsunterricht näher bringen wollte. „Um Gottes Willen“, mag da mancher pazifistisch orientierte Alt-Achtundsechziger Pädagoge gedacht haben. „Wieso muss man Blinden so etwas zeigen“. Ich denke, man muss schon. Dinge werden nicht dadurch besser, indem man sie verschweigt. Auf jeden Fall war das Ding aus Gibs gemacht, aus sehr vielen Kilo Gibs. Mein Rücken erinnert mich vermutlich manchmal noch heute an diese eine kleine Pause, an diese einen schneidendenSchmerzen in meinem Rücken. Zumindest kommt die Erinnerung daran, wenn er mal wieder zickt. Die Liebe zu Dietmar ist es aber Wert, sich auch mal über seinen Rücken an ihn zu erinnern. Nein, Quatsch, aber ich glaube, ich hatte bis da hin noch nie so etwas schweres in meinem leben getragen.
Aber zurück zum Archiv, Du alter Schwätzer…
In solch einem Archiv stieß er wohl auf die Vorlage zu dieser Sternenkarte. Da das Modell noch in Takt schien, wendete er sich an einen Lehrer, einem Bruder im Geiste, der noch an dieser Schule arbeitet und bat ihn, einen Folienabzug von dieser Karte extra für mich zu erstellen.
Wer das Modell, ich vermute mal in den siebziger Jahren des letzten jahrhunderts erstellt hatte, lässt sich leider nicht mehr genau sagen. Dieser Lehrer lebt mit Sicherheit auch nicht mehr. Es gibt mehrere Kandidaten, die dafür in Frage kämen, von denen mein pensionierter Freund noch welche kannte. Entweder ein Lehrer hat das Modell in seiner Freizeit erstellt, wie das noch zu meiner Zeit oft geschah, oder es gab auch Angestellte, die als Modellbauer an Blindenschulen arbeiteten. Heute heißen diese Zentren Medienzentren und deren Hauptwerkzeuge sind Computer und Spezialdrucker.
Diese technischen Entwicklungen haben natürlich den enormen Vorteil, dass man Modelle über Dateien leicht austauschen und auf Plattformen für alle zugänglich speichern kann, welche über die entsprechende Ausrüstung verfügen.
Das hat den Vorteil, dass diese so erstellten Modelle gleich allen zur Verfügung stehen. Früher haben sperrige Holz-Modelle u. Ä. die Mauern einer Blindenschule nie verlassen. Wollte beispielsweise eine andere Blindenschule auch eine Sternenkarte haben, dann wurde das Rad eben neu erfunden.
Der Pädagoge erwacht
Nun erzählte mir Dietmar, wie die Karte funktioniert. Zum Glück habe ich schon viel Erfahrung mit taktilen Sternkarten. Ich suchte sofort in ihrem Zentrum den Nordstern, den großen Wagen, der zum großen Bären gehört, die nördliche Krone und dann nach und nach die verschiedenen Sternbilder weiter außen. Bei den Tierkreis-Zeichen ist neben der Beschriftung in Punktschrift weiter außen noch ein Ring mit kleinen Modellen der Tiere angebracht, z. B. ein Fisch, ein Widder etc. So sprachen wir noch lange und erzählten uns auch gegenseitig unsere Eindrücke und auch Geschichten zu den verschiedenen Konstellationen. Mein Freund wollte absolut sicher gehen, dass ich alles auf dieser Karte erkenne. Er wollte sicher gehen, dass die Karte mich nicht enttäuscht. Ja, das dachte er wirklich. Ich weiß nicht wieso. Er ahnt nicht, oder vielleicht langsam, was für eine ungeheure Freude er mir da gemacht hat. Diese Karte ist weit mehr, als nur eine Sternkarte.
- Sie verbindet mich mit ihm.
- Sie verbindet mich mit dieser Schule. Ohne auf diese Schule gegangen zu sein, wäre ich niemals Astronom geworden.
- Sie verbindet mich mit dem besten Physik- und Chemieunterricht, den ich je hatte. Ein ganzes Kapitel in meinem Buch, Blind zu den Sternen widmete ich diesem Unterricht, den ich an dieser Schule genießen durfte. Leider kann auch diese Lehrerin nicht mehr erleben, was sie mit ihren Stunden für einen Samen in mein Herz gesäht hat, und wie der aufgegangen ist.
Zusammenfassung, wie die Karte nun aussieht
Es gibt ganz unterschiedliche Sternkarten. Je nach dem, was man damit machen möchte. Ich besitze derlei vier, wenn ich die digitale Universe2Go-App dazu zähle.
Die einfachste Sternkarte, die ich besitze, kann ich eigentlich nicht nutzen. Man kann zwar die Leuchtfarbe und somit die Sternbilder ertasten, aber damit macht man sie auf Dauer kaputt, weil der Fingerschweiß sicherlich das Papier und diese spezielle Farbe zerstört.
Sie ist eine Tabelle aller Sternbilder. Sie ist auch ein wertvolles Stück aus der Zeitschrift Yps, die mein Jahrgang vielleicht noch kennt. Da waren immer so lustige Bastel-Sachen drin. Die Sternbilder auf dieser Karte leuchten nachts, wenn man sie z. B. mit einer Taschenlampe dazu anregt. Damit kann man eigentlich nur vergleichend nach dem suchen, was man am Himmel gerade gesehen hat. Somit ist sie eher nicht zur Orientierung günstig, denn aufgehende Sternbilder verändern ihre Winkel und welche, die nicht unter gehen, sieht man sogar auf dem Kopf. Wertvoll ist mir dieses gute Stück, weil ich es von einem Freund und ehemaligen Arbeitskollegen erhalten habe, der meinte, bei mir wäre es besser aufgehoben. Er liest hier mit, und somit brauche ich seinen Namen, er heißt Michael, hier nicht zu nennen. Ich bin stolz auf unsere Freundschaft und auf die Sternkarte natürlich auch. Leider habe ich noch kein Foto davon für euch. Müsste ich mal nachts machen lassen, wenn sie leuchtet. Ob das geht?
Die üblichsten Sternkarten sind rund und drehbar. die untere Scheibe zeigt, z. B. wie die Karte von Dietmar, den Nordhimmel. Damit man sich in diesem Wimmelbild besser zurecht findet, ist die Sternkarte mit einer Deckscheibe versehen, die eine Öffnung hat. Außen, wo sich die Tierkreiszeichen befinden, verfügt so eine Planasphäre noch zwei ringförmige sie umlaufende Skalen. Hier kann man Monat, Tag und Urzeit der Beobachtung einstellen. Oft auch nur Monat und Tag. Dann werden von der oberen Scheibe alle Sterne abgedeckt, die man zu dieser Einstellung eben nicht sehen kann. Dann findet man sich schon etwas besser zurecht.
Solch eine alte taktile Karte besitze ich auch. In der Schweiz hat sich vor sicher mehr als vierzig Jahren mal jemand die Mühe gemacht, so etwas für uns Blinde zu erstellen. Auch ich habe diese Karte aus dem Speicher unseres Institutes vor vielen Jahrzehnten gerettet. Ansonsten wäre sie längst schon verfallen. Ihre Folie wird schon langsam brüchig, und ich zeige sie nur noch ganz Hand verlesenen leuten.
Ihr, liebe Leser*innen gehört natürlich dazu. Hier ein Foto, wie ich mit der Karte arbeite.
An der Sternwarte St. Andreasberg ist eine sprechende Himmelsscheibe entstanden, die auf so einer Karte beruht. An deren Entwicklung war ich nicht beteiligt, aber ein blinder Physiker aus Kiel und der Verein Andersicht e. V., dessen Mitglied ich bin.
Nun ja, und jetzt haben wir eben noch die neueste wunderbare historische Karte aus der Nikolauspflege, gefunden von Dietmar, Kopiert für mich von einem Lehrer, der noch an dieser Schule arbeitet und gezeigt und präsentiert von mir.
Ihr könnt sie euch so vorstellen, wie das untere Blatt einer drehbaren Sternkarte. Sie hat außen keine Zahlen, um Datum und Urzeiten einzustellen und auch kein rundes Deckblatt, was einem den gewünschten Himmelsausschnitt zeigt.
Ich hoffe, dass man sie auf den Fotos gut sehen kann, denn sie ist ja nur taktil und einfarbig.
So, meine lieben.
Das war alles, ihr Leute,
das war alles für heute,
das war ein teil aus meinem Repertoire.
Dieser Artikel gebührt der Ehre für
- Dietmar Boehringer, der die Idee hatte, mir von seinem Fund eine Kopie ziehen zu lassen.
- Sie gebührt auch dem Lehrer, der die Kopie zog, und deshalb noch mein signiertes Buch erhalten wird,
- meinem Freund Michael, der mir die Yps-Karte überlies,
- dem Speicher unseres Institutes, der die drehbare Karte für mich bewahrte
- vielen Mitarbeitern unseres Institutes, die mit mir gemeinsam meine taktilen Astromappen und Modelle entwickelten
- meinen Vorgesetzten, die das alles mit tragen
- Martin, der mit mir gemeinsam Universe2Go auf eine Ebene hebte, dass Orientierung am Himmel für uns nun klare Wirklichkeit ist.
Diese alle haben für uns blinde Menschen ein Tor geöffnet, das Tor zum Himmel.