Ein Deutscher, ein Schweizer, ein Engländer und die Sonne


So, dann komme ich heute mal wieder mit einem Beitrag zu unserer Serie Der Sonne entgegen.
Es ist einige Zeit her, seit ich dort den letzten Artikel über „Das Wandern der Sonnenflecken“ veröffentlichte. Aber mit den Sonnenflecken und vor allem mit unserem Stern sind wir noch lange nicht fertig. Er ist es wert, denn nur von ihm wissen wir so viel. Die anderen sind ja leider alle zu weit weg, aber Flecken dürften die auch haben.

Also los.

Der Deutsche

Eine ganz wichtige Gesetzmäßigkeit auf der Sonne fand ein Apotheker aus Dessau, Heinrich Samuel Schwabe (1789-1875).
Der verkaufte im Jahre 1829 die von seinem Großvater übernommene Apotheke, um „sein wahres Leben“ zu beginnen, was hieß, sich seinen Lieblingsstudien, der Botanik und der Astronomie, zu widmen. Eigentlich hoffte er, einen neuen Planeten zu finden, der sich innerhalb der Merkurbahn um die Sonne
bewegte und der gelegentlich als kleiner schwarzer Fleck vor der Sonnenscheibe stehen sollte. Bei der Jagd nach „Vulkan“, wie dieser vermutete Planet damals genannt wurde, den noch keiner gesehen hatte und von dem wir heute wissen, dass es ihn nicht gibt, durfte Schwabe natürlich nicht Sonnenflecken mit dem gesuchten Planeten verwechseln. Deshalb beobachtete er auch Sonnenflecken und notierte sich über Jahre hinaus die Tage, an denen er keinen einzigen Fleck auf der Sonnenscheibe erspähen
konnte.

1843 verfasste er eine kleine Schrift über seine Sonnenbeobachtungen und schickte diese an das astronomische Fachjournal seiner Zeit, die Astronomischen Nachrichten. Er hatte bereits seine Daten aus den Jahren 1826 bis 1837 in der gleichen Zeitschrift veröffentlicht. Nun aber, auf insgesamt siebzehn Jahre zurückblickend, fiel ihm auf, dass seine Ernte eine auffallende Regelmäßigkeit zeigte. Da
gab es einige Jahre, in denen er an jedem Beobachtungstag mindestens einen Sonnenfleck gesehen hatte. Das war zum Beispiel 1828 und 1829, aber auch in den Jahren 1836, 1837, 1838 und 1839 hatte er an jedem klaren Tag Sonnenflecken erkennen können, während in den Jahren um 1833 und 1843 die Sonnenscheibe an über hundert Tagen fleckenfrei war. Daraus schloss er, dass die Flecken mit einer ungefähren Regelmäßigkeit von zehn Jahren besonders häufig auftreten und in den dazwischenliegenden Jahren selten sind.

Die Schwabesche Entdeckung wurde anfangs nicht all zu sehr beachtet. Erst als Alexander von Humboldt im 1850 erschienenen dritten Band seines „Kosmos“ in dem er das naturwissenschaftliche Weltbild seiner Zeit beschrieb, Schwabes Arbeiten erwähnte, wurde die Welt auf den Liebhaberastronomen aus Dessau aufmerksam. Humboldt druckte in seinem Werk Schwabes Tabelle mit den Zahlen der fleckenfreien Tage pro Jahr ab. Aber seit Schwabe seine Daten veröffentlicht hatte, waren inzwischen sieben Jahre vergangen, und Schwabe konnte Humboldt nun auch noch die Ergebnisse dieser Zeit spanne liefern. Die nunmehr ergänzte Liste zeigte, dass Schwabe auch in den Jahren 1847, 1848 und 1849 keinen fleckenfreien Tag erlebt hatte. Das passte genau zu der früher von ihm angegebenen Periode der Fleckenhäufigkeit. Etwa alle zehn Jahre kommen die Sonnenflecken so häufig, dass es während des ganzen Jahres kaum einen fleckenfreien Tag gibt. Humboldt schrieb:

Keiner der jetzt lebenden Astronomen, die mit vortrefflichen Instrumenten ausgerüstet sind, hat diesem Gegenstand eine so anhaltende Aufmerksamkeit widmen können.
Während des langen Zeitraumes von 24 Jahren hat Schwabe oft über 300 Tage im Jahr die Sonnenscheibe durchforscht. Da seine Beobachtungen der Sonnenflecken von 1844 bis 1850 noch nicht veröffentlicht waren, so habe ich von seiner Freundschaft erlangt, dass er mir dieselben mitgeteilt, und zugleich auf eine Zahl von Fragen geantwortet hat, die ich ihm vor gelegt.

So hat der Amateurastronom erst im Alter von 61 Jahren wissenschaftliches Ansehen gewonnen. Die Königliche Astronomische Gesellschaft in London verlieh ihm ihre Goldmedaille. Er, der seit seinem
41sten Lebensjahr jeden Winter an der Gicht darniederlag, konnte noch zwei Sonnenfleckenmaxima erleben. Sie kamen mit der von ihm vorhergesagten Regelmäßigkeit.

Heute wissen wir, dass die Sonnenflecken mit einer Periode von etwa elf Jahren besonders häufig auftreten. Erst spätere Untersuchungen haben uns gelehrt, wie regelmäßig der Zyklus der Sonne genau ist. Sie haben aber auch gezeigt, dass die Sonne ihm nicht immer folgt. Das wird aber eine andere spannende Geschichte.
Sonnenflecken treten häufig in Gruppen auf.
Und so nahm Schwabe als Maß für die Stärke der Fleckenaktivität der Sonne einerseits die Zahl der Gruppen von Sonnenflecken, die er beobachtete,
zum anderen aber auch die Zahl der Tage eines Jahres, an denen er die Sonne beobachtete, ohne einen Fleck zu sehen.
Die Frage war nun, was denn jetzt mehr über die Aktivität der Sonne aussagt, die Anzahl der Flecken, oder die der Gruppen.
Ein Schweizer fand den Kompromiss.

Der Schweizer

Rudolf Wolf (1816-1893) aus Fällanden bei Zürich war zunächst Mathematiklehrer in Bern, wurde dann aber 1847 Direktor der dortigen Sternwarte und erhielt später einen Lehrstuhl für Astronomie in Zürich.
Er rief eine internationale Sonnenüberwachung ins Leben. An möglichst vielen Tagen eines Jahres und von möglichst vielen Stellen der Erde aus sollte man die Sonnenscheibe auf Flecken untersuchen. Spätestens jetzt wurde es nötig, ein Maß für die Stärke der Sonnenaktivität zu finden, damit man sich gegenseitig verständigen konnte. Er erfand die über hundert Jahre lang nützlichen Sonnenfleckenrelativzahlen. Sie
werden so bestimmt:

Man zählt zuerst die Gruppen von Sonnenflecken, die auf der Sonne zu sehen sind, und dann noch einmal alle Flecken, seien sie einzeln oder in einer der bereits gezählten Gruppen. Die Fleckenzahl wird dann zur zehnfachen Gruppenzahl addiert.
Beispiel:
Ist kein Fleck auf der Scheibe, dann gibt es natürlich weder eine Gruppe noch einen Einzelnen Fleck. Die Relativzahl ist null. je mehr Flecken und Gruppen, um so höher die Relativzahl. An Tagen besonders starker Sonnenaktivität kann sie den Wert 300 erreichen. Wolf gelang es auch, anhand alter Daten Relativzahlen zurück bis in das Jahr 1730 zu rekonstruieren.
Sie zeigen den von Schwabe entdeckten Rhythmus der Sonnenfleckenhäufigkeit sehr deutlich.

Man muss dabei aber beachten, dass die Zahlen von Tag zu Tag stark schwanken. Man denke sich nur das Verschwinden einer Gruppe, die selbst aus 30 Flecken besteht, hinter dem Sonnenrand. Dann geht die Relativzahl schlagartig um den Wert 40 zurück, ohne dass auf der Sonne etwas Besonderes geschehen ist.
Das Verschwinden der Gruppe hat überhaupt nichts mit der Sonne selbst zu tun, es rührt nur davon her, dass wir sie zufällig von der Erde aus nicht mehr sehen, weil wir nicht hinter die Sonne schauen können.

Der Engländer und der Schmetterling

Weitere Erkenntnisse verdanken wir einem Amateurastronomen, Richard Christopher Carrington (1826-1875), der auf seiner Privatsternwarte die Sonne beobachtete. Er war der Sohn eines reichen Bierbrauers und sollte eigentlich Theologie studieren, doch es zog ihn mehr zur Astronomie hin. Nach einer dreijährigen Lehrzeit als Beobachter baute er sich seine eigene Sternwarte. Die Schwabesche Entdeckung war gerade erst bekannt geworden, und Wolf hatte das periodische Schwanken der Sonnenfleckenrelativzahlen bis weit in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen können. Sonnenflecken waren also das ideale Objekt für die Beobachtungen des Hobbyastronomen.

Carringtons erste Entdeckung

Zuerst entdeckte er an der Wanderung der Flecken über die Scheibe, dass die Sonne sich nicht so dreht, wie man es von einem starren Körper erwartet. Während nämlich ein Fleck in Äquatornähe bereits innerhalb
von 25 bis 26 Tagen einmal die Sonne umrundet, benötigt ein Fleck in
30 Grad Breite etwa 27 Tage. In höheren Breiten, etwa in 80 Grad
nördlicher (oder südlicher) Breite sogar mehr als 30 Tage

Während die Entdeckung und Bestätigung der elfjährigen Periode der Sonnenfleckenrelativzahlen auf Zählen am Fernrohr beruhte, so hatte
Carrington das Rotationsgesetz der Sonne durch Vermessen der Orte einzelner Flecken auf der Sonnenscheibe gefunden.

Carringtons zweite

Dabei entdeckte er noch eine andere Gesetzmäßigkeit. Die Flecken bevorzugen im Laufe eines Zyklus verschiedene Zonen der Sonnenscheibe. Zur Zeit eines Fleckenmaximums findet man sie meist in zwei Streifen, die sich in etwa 15 Grad Breite parallel zum Sonnenäquator hinziehen.
Nach einem Sonnenminimum erscheinen die Flecken auf beiden Halbkugeln in mittleren Breiten, etwa bei 30 Grad nördlicher und südlicher Breite. Im Laufe der nachfolgenden Jahre findet man die Flecken mehr und mehr in Äquatornähe,
Nachdem das Maximum überschritten ist, werden sie schließlich immer spärlicher. Etwa gleichzeitig tauchen neue Flecken in höheren Breiten auf und beginnen mit zwei neuen „Schmetterlingsflügeln“, mit dem neuen Zyklus.

Zeichnet man zwei aufeinanderfolgende Zyklen in ein Diagramm ein, so entsteht eine Abbildung, die stark an einen Schmetterling erinnert. Von da her trägt es diesen Namen.
So kann man Flecken des alten Zyklus und solche des neuen gut unterscheiden.

Die Tragödie des Richard Christopher Carrington

Und weil Carrington so ein großartiger Sonnenforscher war, darf ich euch an dieser Stelle die tragische Geschichte, wie sein Leben endete, nicht vorenthalten.
Ja, auch große Wissenschaftler sind Menschen, denen das Schicksal oft hart mitspielt. Carringtons Lebensende war von Ereignissen überschattet, die nie geklärt worden sind, die uns aber die Tragödie
ahnen lassen, die dieser große Mann, der ursprünglich einmal Priester
werden wollte, erleiden musste.
Im Jahre 1865 erkrankte er schwer, verkaufte die ererbte Brauerei und zog sich in ein Haus in Surrey zurück. Dort begann er ein neues Observatorium zu bauen. Irgendwann in dieser Zeit wurde auf Rose Ellen, Carringtons Frau, ein Mordanschlag verübt. Der Attentäter wurde
gefasst und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt.
Am 17. November 1875 wurde Frau Carrington tot in ihrem Bett aufgefunden. Offensichtlich war sie an einer Überdosis ihrer Medizin gestorben. Bei der kurz darauf abgehaltenen Untersuchung wurde festgestellt, dass Carrington, der ihr wie immer am Vorabend die Medizin gereicht hatte, nach dem Erwachen am Morgen seine Frau im Bett auf dem Gesicht liegen sah, aber geglaubt hatte, sie schliefe. Erst später bemerkte das Dienstmädchen den Tod. Frau Carringtons Körper war noch warm. Der Hausarzt, der den Tod bestätigte, erklärte die von Carrington verabreichte Dosis an Medizin für ungefährlich. Die Analyse des Mageninhaltes zeigte keinerlei Spur von Gift, und so blieb die Todesursache ungeklärt.
Trotzdem rügte das Gericht Carrington wegen mangelnder Fürsorge der Kranken gegenüber. Dieser indirekte Schuldspruch muss ihn schwer getroffen haben. Am gleichen Tag verließ er sein Haus und kam erst nach einer Woche zurück. Inzwischen hatte sich die Dienerschaft auf und davon gemacht. Am 27. November betrat Carrington das Haus. Danach hat ihn niemand mehr lebend erblickt. Als beunruhigte Nachbarn die Türen aufbrachen, fanden sie seinen Körper
in einem verschlossenen Zimmer ausgestreckt auf einer Matratze. Als Todesursache wurde Gehirnblutung angegeben, doch auch von Selbstmord wurde gemunkelt.

Ein Gedanke zu „Ein Deutscher, ein Schweizer, ein Engländer und die Sonne“

  1. Hallo Gerhard,
    drei tolle Amateur-Persönlichkeiten! Die Geschichte des letztgenannten kann einen beschäftigen, sowohl die Leistung dieses – wie du schreibst – „Großen Mannes“ wie auch sein mehr als tragisches Ende. So etwas wünscht man sich nicht!
    Herzliche Grüße
    Dietmar

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