Türchen 16 des Blindnerd-Adventskalenders 2024 – Nichts ist auch was

Meine lieben,
da haben wir uns in den vorigen Türchen ausführlich darüber unterhalten, woraus unser Universum so besteht. Da gab es neben der normalen Materie noch die Dunkle, und auch über die mysteriöse dunkle Energie haben wir gesprochen.
Oft wird in Zahlen angegeben, dass das Universum aus diesen drei Teilen zu 100 % besteht.
Das stimmt so aber nicht ganz. Es gibt noch ein großes Wunder zu behandeln, in welches das ganze Universum eingebettet ist.
Es geht um das vermeindliche Nichts, um das Vakuum.
Lasst uns also dieses Wunder betrachten und ehrfurchtsvoll darüber staunen.
Im Kosmos ist das Vakuum eine Bühne der Extreme. Der interstellare Raum zwischen den Sternen, der intergalaktische Raum zwischen den Galaxien – all das sind Regionen, in denen das Vakuum dominiert. Und doch ist es nicht nur der Ort des „Nichts“, sondern auch der Geburtsort von Allem
Das Universum besteht zum größten Teil aus Vakuum; die wenigen Materieklümpchen, die in dieser ungeheuren Leere schweben, sind kaum der Rede wert. In den ungeheuren Regionen des Alls zwischen den Galaxien konnten die Astronomen nicht die geringste Materie entdecken. Sie räumen ein, dass es welche geben könnte, die ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist, vermuten aber, dass man, suchte man in einem Volumen so groß wie ein Riesenstadion, nicht mehr fände als ein einziges Atom.

In unserer unmittelbaren Umgebung, die mit festen, flüssigen und gasförmigen Körpern angefüllt ist, herrscht kein wesentlich größeres Gedränge. Die Großaufnahme eines Atoms würde zeigen, dass der Kern, der 99,9 Prozent des Atomgewichts ausmacht, im Mittelpunkt schwebt wie eine Schrotkugel, die man in einem Fußballstadion aufgehängt hat. Der Rest ist leerer Raum, abgesehen von ein paar Elektronen, die wie geisterhafte Wolken aus dünnem Dampf durch das Stadion wehen. Unsere Welt und wir sind aus ziemlich immateriellem Stoff gemacht. So gesehen ist es überraschend, wieviel Gedanken und Energie, von Geld ganz zu schweigen, Wissenschaftler in den Versuch investieren, das Geheimnis der Materie zu enträtseln.
Sollten sie sich nicht vielmehr mit der Beschaffenheit des Vakuums beschäftigen, das mit Abstand der Hauptbestandteil des Universums ist?
Sollten sie nicht besser über das Nichts nachdenken?

Einige haben tatsächlich genau dies getan und sind dabei zu verblüffenden Ergebnissen gelangt. Im Vakuum geht es weit lebhafter zu, als es den Anschein hat. Die moderne Physik hat gezeigt, dass das Vakuum nicht nur ein passives Stadium ist, sondern ein aktiver Teilnehmer an den Prozessen der materiellen Welt. So paradox es klingt, das Vakuum steht in Wechselwirkung mit Atomen und ist mittlerweile sogar zu einem funktionalen Teil von High-tech-Geräten, wie zum Beispiel Lasern geworden. Es enthält keine Materie, steckt aber voller Überraschungen.

Im Gegensatz zur Existenz der Materie, die nicht in Frage gestellt werden kann, ist die Existenz des Vakuums seit dem klassischen Altertum ein Gegenstand von Kontroversen gewesen. Ursprünglich war das Vakuum als wesentlicher Teil der Atomtheorie eingeführt worden:
„Der gebräuchlichen Redeweise nach gibt es Farbe, Süßes, Bitteres, in Wahrheit aber nur Atome und Leeres;“ erklärte Demokrit vor mehr als zweitausend Jahren.
Das Vakuum des Demokrit war ein hypothetisches Konzept, das erforderlich war, um der Welt, wie wir sie wahrnehmen, Sinn zu verleihen. Wenn Materie wirklich das ungebrochene Kontinuum wäre, das wir wahrzunehmen scheinen, wie könnte dann beispielsweise ein Fisch Raum finden, um vorwärts zu schwimmen? Oder warum scheint ein Tropfen Milch, der sich im Wasser auflöst, im Nichts zu verschwinden?
Beide Rätsel lassen sich überzeugend lösen, wenn es ein Vakuum zwischen Atomen gibt – im ersten Falle, um sich dem Kopfende des Fisches anzupassen, im zweiten, um die Milchteilchen zu verbergen.

Aristoteles verwarf aus einigen Gründen die Idee der Atome und des leeren Raumes.
Dass hier auf Erden leichte Gegenstände langsamer als schwere fallen, schrieb er der Tatsache zu, dass es keinen leeren Raum gäbe, ansonsten müssten in ihm alle Gegenstände gleich schnell fallen. Der hätte Augen gemacht, wenn er 1971 hätte sehen Können, wie ein Astronaut gleichzeitig eine Feder und einen Hammer aus Hüfthöhe auf den Mond fallen ließ. Beide Teile, Hammer und Feder erreichten gemeinsam die Mondoberfläche…

Aristoteles erfüllte das Vakuum mit Äther. Diesen Äther, nicht zu verwechseln mit der stark riechenden chemischen Verbindung gleichen Namens, hielt man für eine dünne, universelle Substanz, die den gesamten Raum und auch alle materiellen Körper durchdringen die sich aber nicht messen lasse. Als Idee hielt sich der Äther bemerkenswert lange und lebte auch dann noch weiter, als der Grund entfallen war, der Aristoteles ursprünglich dazu veranlasst hatte, ihn zu postulieren.

Noch heute senden wir Radiowellen über den Äther. Die Sprache kennt das Wort noch. Die Vorstellung eines Äthers passt auch deutlich besser in das, was wir täglich in unserem Alltag erleben. So braucht Schall ein Medium, sich darin fortzupflanzen. Dann ist es doch eigentlich naheliegend, dass es einen derartigen Stoff, den Äther, auch für das Licht geben sollte.
Nunja. Es gibt ihn nicht.
Licht genügt das Vakuum als Medium. Es benötigt keinen weiteren Stoff hierzu, wie der Schall die Luft.
Diese Entdeckung und Tatsache stürzte die Physik gewissermaßen in eine Krise.
Das somit bereinigte Vakuum blieb ein Vierteljahrhundert hindurch leer, begann sich dann aber wieder aufzufüllen. Diesmal waren weder die Materie noch der Äther daran schuld, sondern Folgerungen der Quantentheorie, was wir hier aber nur kurz so weit anreißen, dass wir darüber staunen können.

In den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhundert arbeiteten Wissenschafftler, wie Richard Feynman ein Konzept eines dynamischen Vakuums aus.
Ein Grundpfeiler dieses Konzeptes ist die Annahme, dass das Vakuum obwohl es scheinbar keine Materie enthält, voller Energie und verborgener Aktivität ist.
im Grunde genommen, ist das moderne Bild vom Vakuum ein Kompromiss zwischen der Auffassung des
Demokrit und der des Aristoteles:
Der erste hatte insofern recht, als die
Welt aus Atomen und dem Leeren besteht, und der zweite insofern, als
er behauptete, daß es keinen wirklich und absolut leeren Raum gäbe.
Eine Folge, eines Phänomens, der Unschärferelation ist die sogenannte Nullpunktenergie mechanischer Systeme. Wenn sich beispielsweise zwei Atome so zusammenfügen, dass sie ein Molekül bilden, welches einer straff gespannten Feder mit einem Gewicht an jedem Ende ähnelt, werden sie
von sich aus entlang ihrer gemeinsamen Achse schwingen. Die Schwingung lässt sich nie ganz eliminieren. Stets bleibt ein letztes nicht zu unterdrückendes Zittern, die sogenannte Nullpunktbewegung, ein Beben
Nach der Theorie der Elektrizität und des Elektromagnetismus, ist Licht nichts anderes, als schwingende magnetische Felder. Diese unterliegen dann natürlich auch diesem Nullpunkt-Zittern und werden davon beeinflusst.
Die Quantentheorie besagt also, dass es nirgends, noch nicht einmal in einem
vollständig dunklen Vakuum, eine gänzliche Abwesenheit des elektromagnetischen Feldes gibt.
Das nächste seltsame Ding, das die Quantentheorie voraussagt, ist die Vakuumpolarisation.
Es kommt gelegentlich vor, das so eine elektromagnetische Fluktuation über genügend Energie verfügt, um spontan ein Teilchenpaar auszubilden. Ohne eine sonstige Außenwirkung verwandelt sich somit Energie in Masse, genauer gesagt in ein Elektron und sein Gegenteil, ein Positron. Der Prozess kann auch umgekehrt ablaufen. Dann werden die beiden kleinen Massen wieder zur Fluktuationsenergie. Diese Tatsache, dass sich Energie in Masse und umgekehrt verwandeln können, ist die Grundlage von Einsteins Relativitätstheorie. Die Formel E=MC^2 hat sicher jeder schon mal gehört.
Das dynamische Vakuum ist wie ein stiller See in einer Sommernacht. Seine Oberfläche wellt sich unter dem Einfluß schwacher Fluktuationen, während überall Elektron-Positron-Paare aufleuchten und
verlöschen wie Glühwürmchen. Der Ort ist lebendiger und freundlicher als die lebensfeindliche Leere des Demokrit und der eisige Äther des Aristoteles. Seine ruhelose Aktivität ist höchst faszinierend für Physiker und verführt zu Spekulationen über seine Beschaffenheit und sogar seinen potentiellen Nutzen.
Es gäbe hier noch weitere Seltsamkeiten des Vakuums aufzuzählen, die hier aber zu viel Verwirrung stiften würden. Viele Eigenschaften des theoretischen Konzeptes des dynamischen Vakuums sind längst in Laboren bewiesen worden und haben schon in unseren Alltag Einzug gehalten.
Ein faszinierendes Beispiel dafür ist der sogenannte Casimir-Effekt, der zeigt, dass das Vakuum physische Auswirkungen hat. Wenn zwei Metallplatten extrem nah zueinander gebracht werden, ohne dass etwas zwischen ihnen ist, werden sie aufgrund der Quantenfluktuationen zueinander hingezogen.
Dieses Experiment verdeutlicht, dass das Vakuum nicht nur eine abstrakte Idee ist, sondern reale Kräfte hervorruft.
Lasst es uns also so stehen, darüber staunen und erfreuen.
Das Vakuum zeigt uns, wie wenig wir noch über die Tiefen der Realität verstehen. Was wir als leeren Raum betrachten, ist in Wirklichkeit ein schier endloser Ozean voller Energie, Potenzial und Geheimnisse. Es lädt uns ein, tiefer zu blicken, über die Grenzen unseres Verstandes hinauszugehen und zu erkennen, dass das, was wir nicht sehen können, oft das Fundament für alles ist.
Und nun, lasst uns mit einer weihnachtlichen Geschichte vom seltsamen Vakuum erholen.
https://www.blautor.de/der-blautor-adventskalender/

Ein Gedanke zu „Türchen 16 des Blindnerd-Adventskalenders 2024 – Nichts ist auch was“

  1. Wir bestehen aus so viel Leere und Nichts und nehmen uns sooo furchtbar wichtig.

    War es nicht Albert Einstein, der sagte “2 Sachen sind unendlich- das Weltall und die menschliche Dummheit. Wobei beim Weltall bin ich mir nicht sicher.”?

    Wobei ich das Zitat von Immanuel Kant über “das moralische Gesetz in mir und den bestirnten Himmel über mir” viel tröstlicher und hoffnungsvoller finde.

    So. Ich fülle jetzt ein bisschen Leere mit Kaffee auf!

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