Liebe Leserinnen und leser,
heute kommt in Blindnerd mal wieder ein Artikel, der nichts direkt mit Astronomie zutun hat.
Allerdings ist das Thema durchaus auch für Astronomie-Schreiber interessant. Es geht um barrierefreie Dokumentengestaltung. Gerade uns Astronomen gelingt wegen der graphischen Eigenschaften der Astronomie, dies leider nicht immer. So habe ich beispielsweise noch nirgendwo so viele unbeschriftete Bilder gesehen, wie in astronomischen Artikeln.
Für die Facebook-Seite meines Arbeitgebers, dem Studienzentrum für Sehgeschädigte (SZS) des Karlsruher Institutes für Technologie (KIT) durfte ich einen Artikel zu diesem Thema schreiben, den ich sehr gerne auch mit Ihnen und euch teile.
Hier ist er:
Einführung
die Allgemeinheit spricht meist von Barrierefreiheit, wenn z. B. ein Ort für Rollstuhlfahrer nicht erreichbar ist, weil ein Aufzug fehlt oder sonstige Unwegsamkeiten dies verhindern.
Manchmal spricht man auch von Sprachbarriere, die irgendwie überwunden werden muss, wenn Menschen die Sprache des anderen nicht sprechen.
Es gibt noch zahlreiche andere Barrieren in unserem Alltag. In diesem Artikel geht es um Barrieren in Dokumenten, welche die Zugänglichkeit für verschiedene Menschengruppen erschweren oder verhindern.
Es soll Sie sensibilisieren und Ihren Sinn dafür schärfen, wie nützlich und wichtig barrierefreie Dokumente für uns alle sind.
Am Beispiel von Menschen mit Blindheit oder Sehbeeinträchtigung werden einige Barrieren und deren Beseitigung näher beleuchtet.
Es gibt noch sehr viel mehr Einschränkungen, die den Zugang zu Print-Medien etc. erschweren. Aus diesem Grunde spricht man häufig von Print-Disability, weil sich das nicht nur auf papierene Dokumente beschränkt.
Papierene Barrieren
Da man es häufig trotz Internet mit papierenen Dokumenten zu tun hat, setzt das Dokument voraus, dass man mit den Augen lesen können muss, um dessen Inhalt zu erfassen. Trotz elektronischer Vorlesesysteme sind somit Menschen mit Blindheit oder Sehbeeinträchtigung eventuell davon ausgeschlossen. Handschrift ist beispielsweise nahezu unzugänglich, auch als Druckschrift. Elektronische Verfügbarkeit hilft, diese Barriere zu überwinden.
Gehen wir nun einen Schritt weiter.
Elektronische Barrieren
Elektronisch verfügbar heißt nicht unbedingt, dass Ihr Dokument dadurch zugänglicher wird, dass es elektronisch verfügbar ist.
Im schlimmsten Fall ist Ihr Text ein digitales Photo. Das verbessert die Situation nicht wirklich.
Für die Hilfstechnologie blinder Menschen unterscheidet sich das Dokument in diesem Falle nicht von jeder anderen Grafik.
Grafiken und Bilder können Bildschirmleser momentan noch nicht beschreiben. Facebook, Google etc. weisen aber in eine Richtung, dass dieses möglicherweise in naher Zukunft funktionieren wird.
Für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung kann so ein Text in einer Grafik bedeuten, dass die Grafik durch die Vergrößerung pixelig, unscharf und somit ebenfalls unleserlich wird.
Schon besser, aber noch nicht gut
Im nächsten Schritt, der unser Dokument barrierefreier machen soll, geben wir den Text über die Tastatur ein und erzeugen ein elektronisches Dokument in der Textverarbeitung Ihrer Wahl.
Ob Ihr Text nun barrierefrei ist, hängt stark von der Größe des Dokumentes und seiner Struktur ab.
Zumindest kann Ihr Dokument nach diesem Schritt als Fließtext von Hilfstechnologie vorgelesen werden. Auch Vergrößerungsprogramme verpixeln ihn nicht, weil der Font (Schrifttyp) direkt vergrößert wird.
Und wenn wir schon beim Schrifttyp sind. Verschnörkelte, verspielte oder Schriften mit Serifen sind für viele Menschen, vor allem mit Seheinschränkung sehr schwer lesbar. Eine gerade klare Schrift ohne Schnickschnack ist immer barrierefreier.
Als Nudelgericht Spaghetti-Code
Eine Barriere ist für alle, wenn der Text sehr lang ist, und keine Struktur hat. z. B. keine Überschriften, Inhaltsverzeichnis, Abschnitte und Seitenzahlen. Diese Tatsache ist unabhängig vom Inhalt des Textes.
In so einem Spaghetti-Dokument können Sie sich nur zurecht finden, wenn Sie wissen, wonach Sie suchen. Dann finden Sie die Stelle eventuell mit der Suchfunktion ihrer Software.
Trotz Mühe eine Sechs
OK, setzen wir nun Überschriften, indem wir an passender Stelle die Schrift fett darstellen, bzw. eine andere Schriftgröße wählen.
Sehende Menschen finden sich nun schon etwas besser in unserem Dokument zurecht, weil ihnen die Überschriften beim Drehen des Mausrades direkt ins Auge springen.
Für blinde Leser, ändert sich zunächst nichts, weil ein Bildschirmleseprogramm etwas fettgedrucktes nicht als Überschrift erkennt. Ist es auch nicht, denn Fettdruck wird auch an anderer Stelle, z. B. bei Hervorhebungen, eingesetzt.
Das bedeutet, dass der Text für blinde Leser ebenso unstrukturiert und unübersichtlich bleibt, wie zuvor.
Gänende Leere
Was glauben Sie, was passiert, wenn sie mit dieser Art von Dokument von ihrer Textverarbeitung ein Inhaltsverzeichnis erstellen lassen möchten?
Genau. Es passiert nichts. Im günstigsten Fall erhalten Sie eine leere Seite mit der Überschrift „Inhalt“.
Nicht mal ihr Textverarbeitungsprogramm weiß, wo in Ihrem Dokument die Überschriften sind, obwohl es die ganze Zeit „dabei“ war, als der Text entstand.
Zum Layout noch Struktur
Dieses Problem beseitigen Sie, indem Sie Formatvorlagen verwenden. Jetzt weiß plötzlich ihr Textprogramm, wo die Überschriften sitzen, und kann ein navigierbares Inhaltsverzeichnis erstellen.
Auch Bildschirmleser für blinde – und Vergrößerungssoftware für seheingeschränkte Menschen wissen es jetzt, denn sie verstehen die Struktursprache der gängigen Textverarbeiter. Nun kann man im Text springen, man kann sich nur die Überschriften anzeigen lassen, um erst mal in das Dokument hinein zu finden etc.
Das gilt für alle Strukturelemente, die ein Dokument enthalten kann. Überschriften, Aufzählungen, Nummerierungen, Tabellen, Seitenumbrüche, Kopf- und Fußzeilen, etc. können in allen Textprogrammen ausgezeichnet werden. Insbesondere Tabellen, die mittels der Tab-Stop-Taste erzwungen werden, sind keine und treiben Menschen mit Hilfstechnologie in die Verzweiflung.
Dasselbe gilt auch für unbeschriftete Grafiken, Formeln, die nur als Bildchen im Dokument stehen, und vieles mehr.
Desto mehr die Struktur eines Textes vom Text selbst getrennt wird, desto barrierefreier ist ihr Dokument tendenziell auch.
Zum Merken und weiter sagen
Merksatz:
Das Credo eines barrierefreien Textes ist die Trennung von Layout und Struktur.
Dass man eine Überschrift für ein späteres Inhaltsverzeichnis setzen möchte, ist das eine. Wie sie in Schriftgröße, Schrifttyp, Abstand zum Text, Einrückung etc. aussehen soll, ist eine ganz andere Sache.
Bildschirmleser kümmern sich nicht um ihr schönes Layout. Sie transportieren lediglich die Textstruktur und seinen Inhalt. In der Blindenschrift gibt es sowieso nur eine Schriftgröße, weil taktile Braille-Zeilen nur eine Größe ausgeben können.
Wie ist es aber derzeit um die Barrierefreiheit von Dokumenten im Netz bestellt?
In Ebooks beispielsweise, findet man ganz unterschiedliche Qualitäten, von einer nicht navigierbaren Textwurst mit einer Million Zeichen, bis hin zu super navigierbaren Dokumenten mit allen Auszeichnungen, die man benötigt, ist alles drin.
Das gilt für E-Zeitungen, Webseiten und alles, was so als Dokumente im Netz herumschwirrt gleichermaßen.
Wem nützt das
Glauben Sie mir. Es ist kein Hexenwerk, ein Dokument einigermaßen barrierefrei zu gestalten.
Da Sie nie wissen können, wer Ihr Dokument mal lesen wird, sollten Sie für den Fall der Fälle immer die Zugänglichkeit für alle im Hinterkopf behalten.
Ach ja, auch Sie selbst gehen eventuell in ihrem Dokument verloren, wenn es keine Struktur hat.
Folgende Links soll Ihnen den Einstieg in barrierefreie Dokumentengestaltung erleichtern.
Bitte tragen Sie mit dazu bei, dass Wort und Schrift für alle zugänglicher werden.
Die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir hier in Frieden, Freiheit und Demokratie leben können. Dies hat uns zu mündigen Bürgern gemacht, die nicht mehr darauf angewiesen sind, nur glauben zu müssen.
Checkliste Barrierefreiheit
Praxishilfen Barrierefreie PDF-Dokumente