Eine Finsternis, ein Sonnenforscher und ein Lattenzaun


Meine lieben,

erinnert ihr euch noch?
vor vielen Monaten habe ich euch eine Serie versprochen, die einige Sonnenfinsternisse enthalten wird, die Astronomiegeschichte geschrieben haben.
Im ersten Artikel dieser Serie wurde anhand einer Finsternis geklärt, ob die Protuberanzen, die man während einer totalen Sonnenfinsternis sieht, zur Sonne, oder zum Mond gehören.

Die Indische Finsternis, um welche es heute geht, führte letztlich dazu, dass man die Protuberanzen heute am Tag und auch trotz heller Sonnenscheibe beobachten kann.
Am 18.08.1868 bewegte sich der Kernschatten einer Sonnenfinsternis über die indische und die malaiische Halbinsel.
Der Astronom und Fotograf Pierre Jules César Janssen nahm also die beschwerliche Reise auf sich, um von Guntur in Indien aus diese Finsternis zu beobachten und zu fotografieren.
Während der kurzen Dunkelheit erkannte er im Spektroskop, dass die Protuberanzen hauptsächlich bei den Wellenlängen des Lichtes des Wasserstoffs abstrahlen. Man bedenke, dass es damals durchaus noch nicht klar war, woraus die Sonne hauptsächlich besteht. Das erklärte uns erst die Frau mit dem Sonnenstoff.

Aber Spektralaparate waren bereits erfunden und man entdeckte auch die Lichtsignaturen der chemischen Elemente.
Als nach kurzer Zeit die Sonne wieder hinter der Mondscheibe hervortrat und die Protuberanzen verblassten, soll Janssen ausgerufen haben:
„Diese Linien will ich auch außerhalb der Finsternisse beobachten.“

Am nächsten Tag richtete er sein mit einem Spektroskop ausgestattetes Fernrohr gleich nach Sonnenaufgang auf die Stelle des Sonnenrandes, an der er während der Finsternis eine besonders helle Protuberanz gesehen hatte.
Wenn janssen in seinem Spektroskop nur auf die Alpha-Linie des
Wasserstoffs schaute, dann war er für nahezu alles andere Licht blind. Sonnenbeobachter bis heute betrachten die Sonne gerne in diesem Licht und blenden alles andere mit Filtern weg.
Tatsächlich konnte er das Licht der Spektrallinien der Protuberanzen auch am hellen Taghimmel ausmachen. Durch den Spalt des Spektroskops
am Fernrohr sah er im Licht der roten Wasserstofflinie einen schmalen Streifen der über den Rand der Sonnenscheibe herausragenden leuchtenden Gasmassen. Wenn er das Fernrohr leicht bewegte, dann verschob sich der Spalt und bot den Anblick eines benachbarten schmalen Streifens der Protuberanz. So konnte janssen am Spektroskop Streifen
für Streifen des Sonnenrandes abtasten, zeichnen und zu einem Bild der gesamten Protuberanz zusammensetzen.

Das Arbeiten während einer Finsternis ist stets durch Hektik bestimmt, da nur wenige Minuten Zeit bleiben und sich vielleicht für Jahre keine weitere Gelegenheit bietet. Doch jetzt hatte janssen Muße, mit dem Spektroskop am Fernrohr die Protuberanzen zu zeichnen und zu verfolgen, wie sie innerhalb von Stunden empor züngelten und wieder herabsanken, sich auflösten oder nach Tagen infolge der Rotation hinter dem Sonnenrand verschwanden. janssen war von dem faszinierenden Schauspiel so gefesselt, dass er erst einen Monat später der französischen Akademie der Wissenschaften eine Nachricht darüber zukommen ließ. Fünf Minuten bevor sein Brief die Akademie erreichte,
war dort aber bereits ein Schreiben Des Astronomen Lockyer verlesen worden, in dem dieser berichtete, wie es ihm gelungen war, Protuberanzen außerhalb einer Sonnenfinsternis zu beobachten. janssen hatte zwar als erster die Protuberanzen am hellen Taghimmel beobachtet, aber Lockyer hatte seine Ergebnisse fünf Minuten früher veröffentlicht. Die Akademie fasste daher den salomonischen Beschluss, eine Medaille prägen zu
lassen, um die Entdeckung zu würdigen. Eine Seite zeigt das Portrait von Lockyer, die andere das von janssen.

Die beiden konnten zwar Protuberanzen mit ihren Spektrographen und Teleskopen beobachten, die sich am Rand der Sonnenscheibe befanden, aber Protuberanzen auf der hellen Sonnenscheibe blieben einem anderen großen Astronomen vorbehalten.

Der erst 21jährige George Ellery Hale grübelte darüber nach, wie man trotz des störenden Lichtes der Sonne bessere Fotografien gewinnen und damit mehr
auf der Fotoplatte festhalten konnte.
Zur Idee seines neuen Instrumentes soll er gesagt haben, dass sie ihm in der Straßenbahn gekommen
sei, als er aus dem Wagen heraus auf die Latten eines Lattenzaunes blickte
und sich der dahinterliegende Garten scheinbar an den Zwischenräumen vorbei bewegte. Das war die Geburt des Spektroheliographen, wie Hale das Gerät nannte, das in diesem Augenblick in seinem Kopf
entstand.

Und so funktioniert es:

Ein Teleskop wirft ein Bild der Protuberanz auf den Spalt eines Spektographen.
Dieser Spalt schneidet aus dem Bild einen schmalen Streifen heraus, und nur
das Licht dieses Ausschnittes gelangt in das Innere des Spektrographen.
Dieser wiederum erzeugt auf einer Fotoplatte ein Bild des Spaltes in
allen Farben. Man kann nun einen zweiten Spalt an die Stelle des
Spektrums setzen, wo die dunkle Alpha-Linie des Wasserstoffs steht.
Durch diesen zweiten Spalt geht nur das Licht der Wasserstofflinie des
durch den ersten Spalt ausgeblendeten Streifens der Sonnenscheibe.
Eine Fotoplatte dahinter erhält dann nur das Bild, das der erste Spalt
aus der Sonnenscheibe und der zweite Spalt aus dem Spektrum herausschneiden
Würde man die Platte entwickeln, hätte man im Licht der herausgeblendeten Wellenlänge eine Fotografie der Protuberanz. Das Bild würde aber nur einen schmalen Streifen der Erscheinung zeigen, so, als müsse man in einer Galerie ein Rembrandt-Bild im
Nebenraum durch einen mehrere Meter entfernten schmalen Türspalt betrachten, man würde kaum etwas erkennen.
Deshalb arbeitete George Ellery Hale mit folgendem Trick: Während
man das Teleskop langsam relativ zur Sonne bewegt, wandert das Bild
der Protuberanz langsam über den Spalt.

Der schmale Streifen, der fotografiert wird, wandert langsam über die Protuberanz hinweg. Wenn man jetzt die Fotoplatte hinter dem zweiten Spalt im Spektrographen mit der richtigen Geschwindigkeit bewegt, so wird
Streifen neben Streifen auf die Platte gebannt. Auf der Schicht entsteht
so ein Bild der ganzen Protuberanz.

Später schrieb ein Freund Hales, daß die Erfindung zweifellos mehr zum
Verständnis der Vorgänge am Himmel beigetragen hatte als irgendeine
andere, seitdem Galilei sein Fernrohr zum Himmel gerichtet hat.

Es gäbe hier noch viel über diesen großen Mann zu berichten. Wie wichtig er war, kann man auf jeden Fall auch daran erkennen, dass man einen Kometen nach ihm benannte, den wir 1986 mit der Raumsonde Giottto besuchten.

Dank einer Erfindung des französischen Astronomen Bernard Lyot, ist zur Beobachtung der Protuberanzen heute kein Spektroheliograph mehr nötig. Man kann Filter herstellen, die nur Licht bei einer bestimmten Wellenlänge durchlassen.
Durch diese Erfindungen konnte man schließlich auch entdecken, dass es auf der Sonnenoberfläche recht arg zugeht. Aber das, und vieles mehr muss auf einen anderen Artikel warten.

2 Gedanken zu „Eine Finsternis, ein Sonnenforscher und ein Lattenzaun“

  1. Hallo Gerhard, hier schreibt dir nun ein Jansen einen Kommentar zu diesem schönen und informativen Beitrag. Ob ich allerdings mit dem von dir erwähnten Sonnenbeobachter verwandt bin, weiß ich nicht. 🙂

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